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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 20.08.1907
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1907-08-20
- Erscheinungsdatum
- 20.08.1907
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- Deutsch
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8122 Börsenblatt s. b Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Lei! Wiener Polizei gegen das Ausstellen von Reproduktionen namhafter und anerkannter Kunstwerke in den Schaufenstern der Buch- und Kunsthandlungen. Von dieser Maßregel be troffen wurden u.a. LukasCranachs »Venus«,Tintorettos »Susanne und die zwei Alten«, Correggios »Danae«, Tizians »Irdische und himmlische Liebe«. Die Polizei stützte sich bei ihrem Vorgehen auf eine kaiserliche Verordnung aus der vormärzlichen Zeit. Das Vorgehen der Polizei soll beeinflußt sein durch ein Komitee christlich-sozialer Damen, das sich die Wahrung der Sittlichkeit zur Aufgabe macht. Diesem Komitee soll auch die Fürstin Pauline Metternich angehören, die an dem lebenslustigen Hof weiland Kaiser- Napoleons III. eine Rolle gespielt hat. In Deutschland haben wir eine ähnliche Hetze in der Lex - Heinze - Zeit durchgemacht, und es hat damals einer großen Volksbewegung bedurft, um die Sittlichkeitsschnüffler zur Ruhe zu bringen und ihre kulturfeindlichen Angriffe ab zuschlagen. Das Gefährliche derartiger Anschläge gegen die Kunst liegt darin, daß es die gesunden Bestrebungen, die sich gegen Pornographie richten, geradezu lahmlegt. Diese Bestrebungen können einen Erfolg nur haben, wenn die Jugend und die Masse des Volks zur Kunst erzogen werden, wenn ihnen der Unterschied zum Bewußtsein kommt, der zwischen der künstlerischen Behandlung des Nackten und solchen Darstellungen besteht, die lediglich die Erregung der Sinne zum Zweck haben. Das ist ja nun freilich eine Frage der Erziehung, die nicht in wenigen Jahren gelöst werden kann. Erst muß eine Generation von Lehrern heran wachsen, die selbst imstande sind die Schönheit des mensch lichen Körpers zu empfinden und diese Empfindungen ihren Schülern mitzuteilen. Ist schon ein Anfang hierzu gemacht? Ich weiß es nicht. Auch die sexuelle Aufklärung ist ein Mittel, namentlich die Jugend vor der Unsittlichkeit in Wort und Bild zu schützen. Gerade die Heimlichkeit, mit der alle sexuellen Vorgänge der Jugend gegenüber behandelt werden, reizt die Lüsternheit und das Verlangen, hinter diese Geheimnisse zu kommen. Würde schon in der Schule die Fortpflanzung einen Teil der naturwissenschaftlichen Unter weisung bilden, so würde diese Materie dem Kinde als das, was sie ist, als ein notwendiger und natürlicher Vorgang er scheinen, der gar keinen Anlaß böte, ihn anders als andre Äußerungen natürlichen Geschehens aufzufassen. In Österreich haben die Vorstellungen, die der Wiener Buchhandel und seine Vertretung höhern Orts angebracht haben, sofortiges und volles Verständnis gefunden. Es ist anerkannt worden, daß es sich um bedauerliche Übergriffe unterer Polizeiorgane handle, und zugesagt worden, daß sich ähnliche Vorgänge nicht wiederholen würden. Den öster reichischen Kollegen ist die Abwehr also leichter geworden als seinerzeit den Kollegen im Deutschen Reich; aber auch diesen soll dieser neue Vorstoß kunstfremder Bestrebungen ein Mahn ruf sein,, zu wachen über die Freiheit des Worts, die Frei heit der Kunst, aber auch zu wachen über die Reinhaltung des Berufs von Erzeugnissen, die unter der Flagge der Kunst geeignet sind die Unsittlichkeit zu fördern. Da die richtige Grenze zu finden, ist eine schwere, aber dankbare Aufgabe! Eine solche Grenze zu ziehen ist um so schwieriger, als das Sexualleben und die Sexualfrage seit je die Menschen beschäftigt haben und noch beschäftigen. Namentlich Dichter und Künstler mit ihren feineren, schärferen Sinnen, ihrem ge steigerten Beobachtungsvermögen, haben das Bestreben ge habt, was sie fühlen, was sie sehen, künstlerisch festzuhalten, es zu beschreiben, zu gestalten. So erklärt sich die unge heure Zahl von Schriften und Bildwerken bei allen Völkern, die sich mit der Liebe, mit erotischen und sexuellen Vor gängen beschäftigen. Diese Produktionen, die im Geiste ihrer Zeit geschrieben, gemalt, ausgehauen sind, sind häufig von 193 20 August 1907. einer Deutlichkeit, die prüderen Spätern befremdlich dünkt und der gegenüber die Frage auftaucht nach der Berechtigung, sich auch vor uns hören und sehen zu lassen. Dieser Frage tritt Willy Schindler näher in seinem Buche: »Das erotische Element in Literatur und Kunst«?) Schindler behauptet, daß das Bewußtsein seines Sexual lebens und seine wichtige Behandlung in allererster Linie den Menschen vom Tier unterscheidet. »Alle andern Kultur werte versinken dagegen in ein absolutes Nichts; denn der wildeste Wilde, der keine dieser Kulturwerte, auf die der Zivilisationsmensch sich mit Unrecht so viel einbildet, auf zuweisen hat, weiß den Wert und die Wichtigkeit seines Sexuallebens nicht bloß materiell zu schätzen, sondern auch ideell zu empfinden und zu preisen. Das Tier kennt keine Liebesgedichte; aber dem Botokuden und Hottentotten fehlen sie nicht, und bei den am allertiefsten stehenden Völkern, die in ihrer sonstigen Lebenshaltung sich in nichts, in ihrer Lebensauffassung in fast nichts vom Tiere unter scheiden, bildet die Erkenntnis und Würdigung des Sexual problems den einzigen Lichtblick, der ihr Geistesdunkel er hellt und damit ihre Menschenzugehörigkeit klar macht. Die Liebeslaute der Tiere, und sei es auch das poetisch-süße Geschlnchze der Nachtigall, sind nur Bruustlaute; daran muß man vorläufig noch festhalten, solange nicht die Tier psychologie uns neue und überraschende Entdeckungen ver mittelt hat.« (Seite 5. 6.) Dies ist der Grund, warum uns die ältesten Schrift denkmäler und die ältesten Kunstdenkmäler längstver schwundener Völker die Kunde ihres Liebeslebens aufbewahrt haben. Die Bezeichnung Erotik ist von den alten Griechen übernommen, »die aus der Liebe einen Gott und aus Göttern Liebende machten, die in der Sexualität keinen Schmutz, sondern etwas Himmlisches sahen, dessen sich die Götter ebensowenig wie die Menschen zu schämen hatten«. (S. 8.) Die erotischen Schriften der Alten lehren uns ihre Zeit besser kennen, als die Geschichtschreiber; aus Lukian und Aristo- phanes, aus Horaz, Martial, Petron schöpfen wir eine Kennt nis der Antike, die, wären diese Schriften nicht vorhanden, nur sehr lückenhaft sein würde. Deshalb ist die erotische Literatur für das eingehende Studium aller Kultur epochen einfach nicht zu entbehren. »Damit ist von vorn herein mein Standpunkt in dieser Frage präzisiert, es kann sich nun bloß darum handeln, ob die erotische Literatur — vorläufig will ich auch die pornographische als solche be zeichnen — auch noch eine andre Existenzberechtigung hat, und darauf kann es meines Erachtens nur ein entschiedenes Neinl geben.« (S. 12.) Schindler weist darauf hin, daß die Unterscheidung zwischen erotisch und pornographisch übrigens nicht allzu leicht zu treffen, daß es freilich richtige Pornographien, zu deutsch Schweinereien gebe, die nicht zu verkennen sind und denen irgend etwas Künstlerisches oder Bemerkenswertes nicht inne wohne. Aber man dürfe mit diesen Jndustrieerzeugnissen künstlerische Erzeugnisse nicht in einen Topf werfen »wegen der allerdings für den oberflächlichen Beobachter ver zweifelten Ähnlichkeit, die diese Werke mit den gewöhnlichen Pornographien haben«. (S. 13.) Man könne alle die schweinischen Büchelchen und Photographien entbehren, ihr Verschwinden würde keine Lücke lassen; »aber man kann kein gleiches mit den künstlerischen Pornographien tun. Man kann Aretino, Rochester, Sade, Rötif, Mirabeau nicht einfach aus der Literaturgeschichte verschwinden machen und *) Beiträge zur Geschichte des menschlichen Sexuallebens. Hrsg, von Willy Schindler. Bd. I. Das erotische Element in Literatur und Kunst. Ein Beitrag zur Erotologie von Willy Schindler. 8°. Berlin, Willy Schindlers Verlag, 1907. 13? Seiten. Preis 2
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