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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 29.07.1885
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- Erscheinungsdatum
- 29.07.1885
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- Deutsch
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3622 Nichtamtlicher Teil. 173, 29. Juli. Nichtamtlicher Teil. Was lasen unsere Vorfahren in den ersten Jahren nach Erfindung der Buchdruckerkunst? Von III-. R. Muther. Im Dezember vorigen Jahres*) ließ ich in diesem Blatte einen kleinen Aufsatz über die Blockbücher erscheinen, worin ich den Stoffkreis jener primitiven Merkchen zu schildern suchte, die noch um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts unseren Vorfahren zur einzigen Lektüre dienten. Wir lernten siebenund dreißig Bücher kennen, die ihren Stoff gewöhnlich der Bibel, der Heiligenlegende oder der Dogmengeschichte, nur selten dem profanen Leben entnahmen und die ihrem ganzen Charakter nach noch vollständig dem Mittelalter angehörten. Wir sahen aber, daß sie auf der anderen Seite von der größten Bedeutung waren, weil aus ihnen allmählich der eigentliche Buchdruck sich ent wickelte. Und so wollen wir, nachdem wir jene Holztafeldrucke kennen gelernt haben, heute die Werke ins Auge fassen, die nun, in den ersten Jahrzehnten nach Erfindung der Buchdruckerkunst, von unseren Vorfahren gelesen wurden. Das Hauptwerk, welches die Erfindung der Buchdrucker kunst dem Volke zugänglich machte, war das Buch der Bücher, die Bibel. Während man vorher nur die sogenannte Armen bibel, eine Concordanz des Alten und Neuen Testamentes gekannt hatte, die einen Cyklus neutestamentlicher Vorstellungen unter Hinweisung auf das Alte Testament vorführte, wurde jetzt — wahrscheinlich von einem Straßburger Gelehrten — die gesamte Bibel ins Deutsche übertragen und erschien in den Jahren 1466 — 1494 in nicht weniger als vierzehnAusgaben. Dieheiligen Bücher waren zwar nur aus der Vulgata übersetzt; erst Luther war es, der auf den Grundtext zurückging; immerhin war schon die Über setzung des fünfzehnten Jahrhunderts von verhältnismäßig großem Werte. Neben der Bibel waren die Evangelienbücher oder Ple- narien verbreitet, die für jeden Sonntag des Jahres Bibeltext und Predigt enthielten; und naturgemäß wurde auch das Leben der Heiligen, die deutsche bisZsocka aursa, mit Vorliebe gelesen, welche die Lebensbeschreibungen aller Heiligen des Jahres für jeden einzelnen Tag vorführte und zwei Bände umfaßte, von denen der eine die Heiligen des Sommerhalbjahres, der andere die des Winterhalbjahres behandelte. Zu diesen die Bibel und die Heiligenlegende behandelnden Werken kam eine große Anzahl moralischer Schriften. Der »Spiegel menschlicher Behaltniß«, der schon vor Erfin dung der Buchdruckerkunst oft mit Holztafeln gedruckt worden war, wurde in erweiterter Form herausgegeben. Das »Buch der Kunst dadurch der weltliche Mensch mag geistlich werden« gab Anweisung, wie man sich die ewige Seligkeit er werben könne. Die von dem Baseler Minoriten Otto von Passau verfaßten »24 Alten oder der gülden Thron« erzählten in ansprechender Form, wie vierundzwanzig Greise einer jugendlichen Königin über die Reue, das gute und böse Gewissen, den züch tigen Wandel, die göttliche Gnade, den christlichen Glauben Vor trag halten. Der von Jacob v on Theramo verfaßte »Belial« schilderte die Erlösung des Menschengeschlechtes durch Christus in Form eines Prozesses, welchen der Heiland gegen den Satan führte und wobei der Prophet Jeremias als Sachwalter des Teufels, der Philosoph Aristoteles als Advokat Christi fungierte. Die »Verzückungen des Tondalus« erzählten, wie ein Ritter, der in seiner Jugend flott gelebt hatte, bei einem schwelgerischen Gastmahl plötzlich ohnmächtig niedersank, während der Ohnmacht von einem Engel im Himmel und in der Hölle umhergeführt wurde und, nachdem er dort die Strafen der Übelthäter und den stillen Frieden der Seligen kennen gelernt, ein neues be schauliches Leben begann In dem »Buche des Ritters vom Turn« endlich waren aus der biblischen und Profangeschichte alle denkbaren Beispiele zusammengetragen, die geeignet waren, junge Mädchen und Jünglinge zur Tugend zu ermuntern und vom Laster abzuschrecken. Während in diesen moralischen Schriften immer nur vom Seelenheil des Menschen die Rede war, gaben andere Bücher An weisung darüber, wie man dem Stande, dem man angehört, Ehre machen könne. Der von dem Prediger Petrus deCessolis ver faßte »Schachzabel« behandelte der Reihe nach die einzelnen menschlichen Stände vom König, der Königin, dem Ratsherrn und Ritter bis herab zum Knappen und Handwerker, während der von dem spanischen Bischof Rodericus von Zamora verfaßte »Spiegel des menschlichen Lebens« die Leiden und Freuden eines jeden Berufes vorführte, die Verdrießlichkeiten des Ehe mannes, die Pflichten der Handwerker, die Sorgen und mancherlei Aufgaben des geistlichen Standes. Neben diesen moralisierenden Schriften hatte man dann die eigentlichen Erzählungen, Rittergeschichten und Sagen. Zunächst suchte man die Schätze der älteren deutschen Lite ratur dem Volke zugänglich zu machen. Man las mit Vorliebe Wolfram von Eschenbachs romantische Gedichte, Titurel und Parcival, sowie das sogenannte Heldenbuch, einen Kreis von Dich tungen Heinrichs von Ofterdingen und anderer ritterlicher Sänger des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts. Sodann wurden auch die antiken Sagenkreise allmählich ver breitet. Während zur Zeit des Holztafeldruckes nur zwei kleine Merkchen, das »Buch von den Sehenswürdigkeiten Roms« und das »Oet'suso riu m vir^initatis Narias« einzelne antike Sagen behandelt hatten, wurden jetzt allmählich sämtliche Mythen des klassischen Altertums dem Volke bekannt. Die Geschichte der Zerstörung Trojas, durch die Kreuzzüge wieder lebendiger in die Erinnerung gerufen, wurde Gegenstand neuer Schilderung, indem ein gewisser Johann Jair von Nördlingen unter dem Titel »Eine schöne Historia, wie Troia, die köstliche Stadt verstöret ward« die alte, von dem Italiener Guido de Columna im dreizehnten Jahrhundert verfaßte »Historik cks- struotionis Troias« populär umarbeitete. Eine nicht minder volkstümliche Gestalt war Alexander der Große, dessen Leben mit Zugrundelegung der alten Geschichtswerke von Curtius und Eusebius schon im zwölften Jahrhundert romanhaft bearbeitet worden war und nun in einer von vr. Johann Hartlieb in Mün chen angefertigten deutschen Übersetzung bald den Büchermarkt über flutete. Eine dritte sehr beliebte Sage war diejenige von Apollo- nius von Tyrus, jenem mythischen König, der auf einer Meer fahrt Frau und Tochter verlor und erst nach jahrelangem vergeb lichen Suchen glücklich wiederfand, — ein Stoff, den Shakespeare später zu seinem Perikles verarbeitete. Ebenso spannend war das vierte vielgelesene Buch, die »Historie von den sieben weisen Meistern«. Der Held derselben war ein Königssohn, der von seiner Stiefmutter fälschlich des Ehebruchs bezichtigt, vom König zum Tode verurteilt, aber durch seine Lehrer, »die sieben weisen Meister« errettet wurde. Unter den deutschen Bearbeitungen alter Schriftsteller nahmen die erste Stelle Aesops Fabeln ein, die, von dem gelehrten Ulmer Arzt Heinrich Steinhöwel ins Deutsche übertragen, bald ein Lieblingsbuch des Volkes wurden. Aristoteles war nach wie vor *) Vgl. Börsenblatt 1884. Nr. 293.
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