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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 30.07.1903
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- Erscheinungsdatum
- 30.07.1903
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- Deutsch
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174, ZO. Juli 1903. Nichtamtlicher Teil. 5861 Erinnerungen an Leopold Rosner. Der in diesen Tagen in Wien verstorbene österreichische Buchhändler Leopold Rosner ist wohl eine der eigenartigsten Gestalten in dem neuern Buchhandel Österreichs gewesen. Als ich ihm im Jahre 1880 näher trat, war er das, was nian bei nns zu Lande einen interessanten Menschen nennt. Von Hanse aus für den Buchhandel bestimmt, schien Leopold Rosner doch mehr Gefallen an dein bunten Leben der Bühne zu finden. Eine Zeitlang mimte er denn wirklich auch an verschiedenen Bühnen der Provinz, keine Helden- und keine Liebhaberrollen ersten Ranges, aber doch immer darauf bedacht und dazu angelegt, für sich und sein Wissen Gewinn aus dem steten Verkehr mit dem lustigen Volk der Komödianten zu ziehen. Manche wertvolle Bekanntschaft mit literarischen und theatralischen Größen verdankte er seiner, freilich nur kurzen Tätigkeit auf den Brettern, und er erweiterte deren Kreis in seiner späteren Tätigkeit in der Wallishausser'schen Buchhandlung in einer Weise, daß er wohl selbst als ein Stück Wiener Theaterchronik gelten konnte. Dazu befähigte ihn vor allen Dingen sein ausgezeichnetes Gedächtnis, sein ganz besonderes Verständnis für die Individualität aller- großen und kleinen Mimen männlichen und weiblichen Ge schlechts, mit denen er hier, wie in seinem 1871 unter den Tuchlauben gegründeten eigenen Geschäft in kürzere oder- längere Verbindung trat. Er blieb auch jetzt, als Verleger und Sortimenter-, seiner Vorliebe für das Theater und die schöngeistige Literatur treu. Er entdeckte gewissermaßen Anzengruber, den großen Schweiger, den ich heute noch behaglich dahindänrmernd in einer Sophaecke des stets halbdunklen Buchgewölbes sitzen sehe. Adolf Wilbrandt war einer seiner ersten Autoren als Dramatiker und Romanschriftsteller, Julius von der Traun, das Abbild Napoleons III., der geistvolle Autor des »Schelm von Bergen« und der »Goldschmieds Kinder«, Ferdinand Kürnberger, der talentvolle Sonderling, Friedrich Schlögl, der patriotische Wiener, Lazar B. Hellenbach, der Autor der einst vielbe sprochenen »Vorurteile der Menschheit«, einer der eifrigsten aber auch kritiklosesten Spiritisten der damaligen Zeit, Marie von Ebner-Eschenbach, und, wie nur alle die literarischen Größen des Wiens der achtziger Jahre, neben Graf und Gräfin Wickenburg-Almasy u. a. geheißen haben mögen, sie alle gaben sich gern dann und wann ein kürzeres oder längeres Stelldichein in dem kleinen Gewölbe unter den Tuchlauben, in dem ich einst auch Helene von Rakowitza, die ehemalige Geliebte Lassalles, in dem ich die »fesche« Pepi Gallmayer, den un glücklichen Matras, Girardi den Schlosserlehrling, Sonnenthal den Großen, Charlotte Wolter die Unnahbare, Schöne und Thimig, Lewinsky den Kleinen, ja sogar den nüchternen Laube und die geniale exzentrische Wilbrand-Baudius, neben Skaria und der Materna, neben Ludwig Speidel und Dingelstedt kennen lernte. Mehr als zwanzig Jahre sind darüber hingegangen, und es ist mir in der Tat unmöglich, mich noch aller der Namen zu erinnern, die damals bei Leopold Rosner verkehrten. Er war Freimaurer und auch Schlaraffe, Grund genug, daß es ihm keinen Tag an Be suchen jeder Art fehlte, daß jeder, der nach Wien kam, um dessen geistiges Leben kennen zu lernen, auch bei Leopold Rosner vorsprechen und mit ihm plaudern mußte. Denn das Plaudern war eine Kunst, die er in der Tat meisterhaft verstand. Was er erzählte, hatte Fleisch und Blut und Leben, und die Erinnerungen, die er zum besten gab, wenn er gerade in guter Stimmung war, verstand er in meisterhafte Form zu bringen. Er wußte das, und er nahm die Lob sprüche darüber ebenso gern entgegen, wie die ihm gar oft aus weiblichem Munde gewordene Versicherung, daß er der schönste Mann unter den Tuchlauben sei. Das bleiche Gesicht mit den dunklen Augen, dem lockigen Haupthaar und Börsenblatt sitr den deutschen Buchhandel. 70. Jahrgang. dem schwarzen Vollbart stempelten ihn allerdings zu einem Charakterkopf erster Klasse; er bot den orientalischen Typus in seiner reinsten, aber auch idealsten Form, und ich dachte mir ihn oft im Schmuck glänzender Rüstung, als einen jener altbiblischen Helden, der Sieger über die Feinde und — nber die Frauen! Ich glaube, es ist kein Tadel, wenn ich auf Grund der von mir gemachten Beobachtungen an dieser Stelle aus spreche: Leopold Rosner war als Buchhändler nicht der »gewürfelte« Geschäftsmann, der nur auf materiellen Gewinn ausging. Ein Zug genialer Sorglosigkeit ging durch sein ganzes Tun und Treiben. Es mag sein, daß er, verwöhnt durch das viele Lob, das ihm gespendet wurde, zu viel Gewicht auf seine Persönlichkeit legte, und glaubte, mit ihr alles machen zu können; es stak vielleicht in ihm, dem Ungarn, auch ein gut Stück jener heißblütigen Leichtlebigkeit, die so gern den schweren und nüchternen Aufgaben des All tagslebens sich entzieht, und mit dem zufrieden ist, was der Tag nimmt und gibt. So wie er angelegt war, hätte sein Verlag eine Sammelstätte der neuern österreichischen Literatur werden können; die Autoren hatten Vertrauen zu ihm, und an dem guten Willen zur Realisierung dieses Gedankens fehlte es chm auch nicht. Was ihm aber in seiner Tätigkeit als Verleger fehlte, war die Energie und Zähigkeit. Damit, daß er ein Buch fertig gestellt und in die Welt hinausgesandt hatte, verlor er auch schon sein persönliches Interesse daran, und er sprach von seinen Erfolgen und Mißerfolgen auf diesem Gebiet mit demselben Gleichmut oder demselben Sarkasmus, wie von denen in seinem persönlichen Leben. Von seiner eigenen schriftstellerischen Tätigkeit, die zumeist aus dramatischen Übersetzungen aus dem Französischen und Ungarischen be stand, sprach er nie; und als den Bearbeiter von einem netten Büchlein »Etwas Nestroy«, einer Zusammenstellung der witzigsten Aussprüche des Wiener Komikers und Dramatikers, nannten ihn nur andere, nicht er sich selbst. Rosners persönlicher Ehrgeiz bestand in seiner Be scheidenheit; er sprach gern von sich selbst, aber er tat dies in dem gleichen Tonfall, wie er von andern redete; er freute sich des Umgangs mit den Celebritäten Wiens und seiner Zeit, aber er erhob sich deswegen nicht über andre; er war seinen buchhändlerischen Kollegen gegenüber stets gefällig und zu jeder Aushilfe bereit und verfocht die Standes interessen seines Berufs mit Umsicht und Ausdauer. Aber es war vielleicht sein Verhängnis, daß die enger-beruflichen Interessen bei ihm doch erst in zweiter Linie kamen. Er blieb zwischen dem Buchhändler und dem Schriftsteller stehen, und wenn er sich auch, nachdem er aus mir unbekannten Gründen in den achtziger Jahren sein Geschäft verkauft hatte, nun ausschließlich dem Beruf des letztem widmete, so geschah dies vielleicht doch mehr aus äußern Gründen, als aus reiner und ungeteilter Veranlagung dazu. Was ich in diesen Zeilen gesagt habe, fußt allerdings nur auf Erinnerungen eines einzigen Jahres an Leopold Rosner. Und doch, trotzdem mehr als zwanzig Jahre zwischen damals, als ich ihm zum Abschied die Hand reichte, und heute, da ich diese Zeilen schreibe, liegen, hat mich sein Tod schmerzlich berührt. Rosner hat mir und meinem Vor wärtsstreben stets ein freundliches Wohlwollen gespendet. Ich erhielt auch fern von Wien noch dann und wann ein kurzes Lebenszeichen von ihm in seiner charakteristischen Handschrift und in seinem prägnanten Stil. Sein Familienleben wor ein schönes und glückliches. Sein Sohn Karl hat sich als Schriftsteller einen geachteten Namen geschaffen. Leopold Rosners letzte Lebensjahre waren durch Krankheit mannig fach getrübt. Nun ruht er aus nach einem wechselreichen Leben von seiner Arbeit und mancher Enttäuschung. Ehre sei seinem Andenken! Th. Ebner. 776
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