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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 08.11.1904
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1904-11-08
- Erscheinungsdatum
- 08.11.1904
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- Deutsch
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260, 8 November 1904. Nichtamtlicher Teil. 9829 Nichtamtlicher Teil. Zur Kultur des Buches?) Von Eugen Diederichs. Haben wir einen Stil in unsrer Buchausstattung? Stehen wir etwa mit dem Äußeren unsrer Bücher in gleicher Höhe wie unsre Vorfahren im fünfzehnten bis achtzehnten Jahrhundert? Wenn wir auch im letzten Jahr zehnt unstreitig einen Aufschwung gegenüber dem vorher gehenden Tiefstand zu verzeichnen haben; ist dieser so be deutend, daß wir stolz darauf sein können? Diese Fragen be antworten sich ohne weiteres durch das Ergebnis, das die ge samte ästhetische Bewegung der vergangenen Jahre gezeitigt hat. Ist es ihr gelungen, müssen wir fragen, typisch künstlerische Ausdrucksmittel für das Empfinden unsrer Zeit zu schaffen, wie es Gotik, Renaissance, Barock, Rokoko und Biedermeierstil taten? Es ist so viel über das Bedürfnis nach einem neuen Stil geredet und geschrieben worden, daß wir mindestens in einem neuen mediceischen Zeitalter stehen müßten. Aber blüht tatsächlich ein Reichtum an künstle rischen Talenten herauf, sind unsere Reichen wirklich Mäzene und schaffen den Boden für die notwendigen Existenz bedingungen der Kunst? Empfinden wir Pöbelhaftigkeit und Lüge, wenn sie sich unserm Auge darbieten, ebenso stark wie im persönlichen Verkehr? Sind wir überhaupt ganze Menschen? Und dann das Entscheidende. Sind wir trotz unseres Christennamens »Tänzer ums goldene Kalb« oder arbeiten und leben wir um des innern Gewinnes unserer Seele willen? Ob aus der modernen ästhetischen Bewegung eine ethische der Gesinnung, des Handelns erwächst, darin liegt ihr Schicksal, auch da, wo sie sich auf das Buch erstreckt. Denn sie ist, wir wollen es offen gestehen, jetzt an einem toten Punkt angekommen. Ruskin formuliert diese Ethik in jeinem Buche »die sieben Leuchter der Bau kunst« (S. 39) für die Architektur in folgenden Worten, die wir auch auf das Buch anwenden können: »Keiner von uns ist ein so guter Baumeister, daß er beständig und gewohnheitsgemäß mit halber Kraft arbeiten könnte; dennoch kenne ich kaum ein Gebäude aus neuer Zeit, worin es nicht offenbar wird, daß weder Architekt noch Baumeister ihr wirklich Bestes getan haben. Das ist das besondere Kennzeichen moderner Arbeit. Alle ältere Arbeit war dagegen fast durchweg harte Arbeit. Vielleicht die harte Arbeit von Kindern, von Barbaren, von Bauern; aber es war stets ihr Äußerstes. Unsere hat stets den Beigeschmack von Geldeswert, oder auch von träger An passung an niedere Bedingungen, von einem Nachlassen und Abbrechen wo und wann es immer angeht, niemals von einem freimütigen Einsetzen unserer ganzen Kraft.« Wo aber finden wir bei allem, was das Buch betrifft, das Einsetzen der ganzen Kraft? Zuerst, wieviel Bücher werden aus innerer Notwendigkeit geschrieben? Hat dann auch die Kritik das nötige Verantwortlichkeitsgefühl, um reinlich zu scheiden? Hat ferner der Verleger im allge meinen so viel innerliche Freude an seiner Arbeit, daß er seine Verlagswerke nach ihrem geistigen Wert auswählt und sich in ein persönliches Verhältnis zu ihnen hineinlebt, so daß ihm auch ihre äußere Ge *) Der vorstehende Aufsatz soll demnächst im Verlagskataloge n Eugen Diederichs Verlag in Jena erscheinen. (Red.) Börsenblatt tür den deutschen Buchhandel, 71. Jahrgang. statt nicht gleichgültig ist? Haben die Arbeiter, die an der Herstellung eines Buches betätigt find, ein seelisches Ver hältnis zu ihrer Arbeit, oder sind sie nur Maschinenteile? Setzen die Künstler, die das Buch zu einer vollkommenen äußern Gestaltung bringen sollen, ihr bestes Können ein? Und was das Allerwesentlichste ist, hat der kaufende Bücher freund ein eignes Urteil über Inhalt und ästhetisches Außeres, hat er sein geistiges und wirkliches Auge so gebildet, um den Schein von der Wesenhaftigkeit zu unterscheiden? Das sind grundlegende Fragen, deren Lösung auch über die Kultur auf dem Buchgebiete entscheidet. Daß sie bejahend gelöst werden können, hat wenigstens auf dem rein ästhetischen Gebiet bereits die englische Kultur- entschieden. Nicht umsonst haben Ruskin, Morris und der Kreis, der sich um jene bildete, ihre Lebensarbeit eingesetzt. Alles Handwerkliche, alles Geschäftliche wurde mit einer Art religiösen Gefühls behandelt, und auch das Buch wurde in haltlich und äußerlich der Abglanz ihrer Gesinnung. Das gilt nicht nur von den Künstlern, sondern auch von den für sie arbeitenden Handwerkern, Schriftschneidern, Druckern und Buchbindern. Das englische Ideal des Gentlemans bewährte sich auf dem Buchgebiet als künstlerische Ehrlichkeit und Ge wissenhaftigkeit, die jede Imitation des Materials als Lüge ansah. Ihr Grundsatz war: Schönheit erwächst nur aus den im Material liegenden Ausdrucksformen. Daher bevorzugten sie schöne, charakteristisch geschnittene Schriften, eine dekorative Wirkung der schwarz-weißen Seite, edles Papier, und für den Einband derbe, die Struktur zeigende Leinwand oder farbiges Leder. Und ihre Ideale sind so tief ins Volk ein gedrungen, daß heute, nachdem wir fast zehn Jahre Buch ausstattungsbewegung hinter uns haben, die englischen Bücher in ihrem Äußern noch turmhoch über dem Niveau der deutschen Bücher stehen. Ähnlich ist es auch auf anderem Gebiete, so steht z. B. die Architektur des englischen Landhauses in gleicher^ Verhältnis zu unfern, in der Mehrzahl geschmacklosen Villen-Neubauten. Man übersehe also nicht: weder um »Jugendstil« oder »Sezessionsstil« handelt es sich bei unsrer Weiterentwicklung auf künstlerischem Gebiete, sondern um ein einheitliches Empfinden für das Wesentliche der künstlerischen Ausdrucks form, um ein Harmonieverhältnis des innern Menschen zu den ihn umgebenden Eindrücken. Nach zehn Jahren Kunstbewegung haben wir sowohl im ganzen als auch im Einzelfalle der Buchausstattung weiter nichts als Ansätze, die verkümmern werden, wenn der Boden des deutschen Volks nicht fruchtbarer wird als bisher. Aber sollen wir zu unfern englischen Vettern immer weiter im Verhältnis der Minderwertigkeit stehen, wo wir doch vor ihnen ein größeres Phantasieleben und vor allem das persönliche Verhältnis zum Unbewußten und die daraus resultierende reichere Ideenwelt voraus haben? Es ist nur Eins not, was uns vorwärts bringen kann, nämlich das ganze Einsetzen unserer Kraft, die wieder aus einem ganzen Menschentum entspringt. Der Ruskin wesensverwandte Geist eines Fichte und Schiller muß wieder in uns lebendig werden, dann wird auch das innere und äußere Überein stimmen eines Buches etwas selbstverständliches sein, da es der Ausdruck unserer Kultur ist.
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