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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 19.03.1900
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- 1900-03-19
- Erscheinungsdatum
- 19.03.1900
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- Deutsch
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ZH 64. 19. März 1900. Nichtamtlicher Teik 2181 stattgefundene Protestoersammlung ganz kurz zurückkommen, und zwar wegen der Bedeutung, die ich dieser Versammlung beilege mit Rücksicht auf die Persönlichkeiten, die an dieser Versammlung teilgenommen haben. Die Kraftstellen aus den dort gehaltenen Reden sind von dem Herrn Kollegen Roeren hier bereits mit geteilt worden. Ich möchte nur der Vollständigkeit halber ein einziges Citat noch hinzufügen. Von Herrn Professor Eberlein ist in seinen Ausführungen noch folgendes gesagt worden: -Was wird man dort — nämlich in Paris — zu dem Brandmal sagen, das die deutsche Kunst auf der Stirn trägt, indem man sie mit der Verbindung mit diesem Paragraph beschmutzt. Beschwert man die Musen mit Ketten, so hemmt man die Entwickelung des Volks». Der Herr Kollege Roeren ist bereits im einzelnen auf die Vorkommnisse in dieser Versammlung eingegangen, und es er übrigt sich für mich nur noch, einige allgemeine Betrachtungen an zustellen. Da möchte ich an die Spitze stellen, was auch der Herr- Kollege Roeren bereits vorgebracht hat: mit den dort bekämpften Paragraphen 184, 184a, 184b kämpfen wir gegen das Gemeine. Nun frage ich Sie: was haben unsere Künstler überhaupt mit dem Gemeinen zu thun? (Sehr gut! rechts und in der Mitte.) Die Worte, die Goethe in seinem Epilog zur Glocke von seinem Freunde Schiller sagt: -und hinter ihm, im wesenlosen Scheine, lag, was uns alle bändigt, das Gemeine-, diese Worte müssen von jedem wahren Künstler gelten, oder er ist kein solcher. (Sehr richtig! rechts.) Und deshalb meine ich, es wäre für unsere Künstler ein viel richtigerer und würdigerer Standpunkt gewesen, wenn sie, anstatt zu solchen Protestversammlungen zu schreiten, den Hetzern, die sie zu solchem Protest anzuspornen suchten, geantwortet hätten: »Was haben wir überhaupt mit dem Gesetzentwurf zu thun? (Sehr wahr! rechts.) Da das Gesetz gegen das Gemeine kämpft, so müssen wir es ab lehnen, uns überhaupt mit demselben abzugeben». (Sehr wahr! rechts.) Diesen Standpunkt hat auch, wie bereits der Herr Kollege Roeren hervorgehoben hat, der Vorsitzende des Vorstandes der Deutschen Künstlergenossenschaft, Anton von Werner, in der von ihm er lassenen Bekanntmachung eingenommen, und daß er darin das Richtige getroffen hat, wird dadurch nicht beeinträchtigt, daß uns heute morgen ein Protest zugegangen ist, von einer großen Anzahl unserer bedeutendsten Künstler und Schriftsteller unterzeichnet; denn dieser Protest geht wieder von unrichtigen Voraussetzungen aus, indem er die Behauptung aufstcllt, daß das ernste künst lerische Schaffen der Gegenwart für etwa vorhandene soziale Krankheitserscheinungen von uns verantwortlich gemacht werden sollte. Daran denkt keiner von uns! Nun ist es gewiß richtig, was in der Versammlung hervor- gchoben worden ist, daß der schaffende Künstler ein Kind seiner Zeit ist, und daß er bei seinem Schaffen sich diesem Zeitgeist nicht entziehen kann. Gewiß, das ist keinen Augenblick zu bestreiten; aber darum bleibt es doch immer die höchste und schönste Aufgabe des Künstlers, durch sein Schaffen veredelnd und bildend auf den Zeitgeist einzuwirken. (Sehr gut! rechts.) Seine Aufgabe besteht nicht bloß darin, daß er das reproduziert, was der Zeitgeist mit sich bringt (sehr richtig! rechts); auch dabei ist er an bestimmte Grenzen und Schranken gebunden. Das Unzüchtige und Schamlose hat er stets zu vermeiden! Es ist nicht erlaubt, was gefällt! Das hieße das Gemeine berücksich tigen, das uns alle nach dem Goethcschen Wort bändigt! Nein, erlaubt ist, was sich ziemt! So berichtigt die Prinzessin den Torquato Tasso. Ich führe hier mit Absicht einige Goethesche Worte an, weil auch von Sudermann in der Protestversammlung auf Goethe Bezug genommen ist. Und Willst du genau erfahren, was sich ziemt, So frage nur bei edlen Frauen an. Meine Herren, um alle Mißverständnisse zu vermeiden, erkläre ich ausdrücklich, daß ich dabei nicht an den weiblichen Freisinn denke. (Heiterkeit rechts.) Nun sollen unsere Rickster nicht geeignet sein, darüber zu ur teilen, ob die Künstler die vorgeschriebencn Grenzen innegehalten haben; es sollen vielmehr Sachverständige — auch Herr Kollege Vassermann hatte einen derartigen Wunsch — dazu berufen werden. Ja, meine Herren, etwas Schlimmeres, glaube ich, könnte unserer Kunst und Litteratur gar nicht passieren; denn bei den vorhan denen verschiedenen Richtungen hieße das nichts anderes, als einen Kampf aller gegen alle etablieren. Das Urteil, welches alle unsere Künstler und Schriftsteller anzuerkennen haben, das ist der gesunde und richtige Sinn unseres Volkes; dem haben sich alle zu fügen, und wir können von unseren Richtern ohne weiteres an nehmen, daß sie diesen gesunden Sinn unseres Volkes kennen, ihn verstehen und sich davon auch bei ihrem Urteil werden leiten lassen. Siebenundsechzlgster Jahrgang. In der Protestversammlung ist auch die Behauptung wieder holt worden, daß alles Nackte überhaupt verboten werden sollte. Meine Herren, diese Behauptung ist in diesem Hause schon so oft widerlegt worden, daß ich nur auf unsere Verhandlungen bei der zweiten Lesung zurückverweisen kann. Das Nackte kann durch aus züchtig und anständig erscheinen, zumal wenn es durch die Kunst geadelt ist. Auf der anderen Seite aber kann das Bekleidete so unzüchtig und schamlos dargestellt werden, das es schlimmer erscheint als das Nackte. (Sehr richtig! rechts.) Bei der zweiten Lesung ist auch bereits anerkannt worden — und wir bezweifeln es keinen Augenblick —, daß der Künstler für seine Arbeiten der Aktstudien nicht entbehren kann. Der Herr Kollege Henning ist bei der zweiten Lesung ausführlich darauf eingegangen. Ja, meine Herren, inwieweit werden denn die Aktstudien des Künstlers durch das vorliegende Gesetz betroffen? Man könnte vielleicht daran denken, daß Nr. 1 des 8 184 irgendwie darauf angewendet werden könnte. Aber das ist unmöglich; denn die Aktstudien werden doch nicht zu dem Zweck angefertigt, um im Publikum verbreitet zu werden, und werden auch nicht zu diesem Zweck vorrätig gehalten. Damit ist die Anwendung auch dieser Bestimmung ausgeschlossen. Endlich ist noch darauf hingewiesen worden, daß unsere Künstler mit Zuhältern und Dirnen verkoppelt werden sollten. Meine Herren, das ist eine billige Redensart, die natürlich des Beifalls in einer Volksversammlung gewiß war. Aber sehen wir sie uns einmal näher an, so tritt die Unwahrheit derselben sofort zu Tage. Was bedeutet denn der vorliegende Gesetzentwurf? Er stellt sich dar als eine Novelle zu unserem Strafgesetzbuch. Der § 184, der ja hauptsächlich von den Künstlern bekämpft wird, ist bereits in unserem Strafgesetzbuch enthalten. Nun, meine Herren, wenn die Künstler überhaupt glauben, daß der Paragraph auf sie Anwendung finden könnte — wir lehnen das ab, wir sind nicht der Ansicht —, wenn sie das glauben, so sind sie doch jetzt bereits in unserem Strafgesetzbuch nicht nur mit Zuhältern und Dirnen zusammengekoppelt, sondern mit Hochverrätern und Brandstiftern, mit Mördern und Dieben, und dagegen zu protestieren, ist bisher noch keinem eingefallen, oder darin etwas Ehrenrühriges zu erblicken. Zum Schluß möchte ich an Sie, meine Herren auf der Linken, noch eine ernstliche und dringende Warnung richten: ich warne Sie immer wieder, durch Ihre Interpretation etwas in das Gesetz hineinzutragen, was nicht darin enthalten ist. Wir wollen den Künstler nicht unter Polizeiaufsicht stellen in seiner Werkstatt. (Zurufe links.) Wir wollen die Muse nicht mit Ketten belasten, die keusche Muse, und eine andere Muse als die keusche Muse kann es selbstver ständlich nicht geben. Aber sollte dieser Gesetzentwurf verabschiedet werden und später einmal ein Richter eine solche unrichtige Ent scheidung fällen, dann würde es sich nur daraus erklären lassen, daß er die Verhandlungen in diesem Hause gelesen hat, und daß er durch Ihre unrichtigen Interpretationen (sehr richtig! rechts — Lachen links), die Sie dem Gesetzentwurf gegeben haben, zu seiner verkehrten Ansicht geführt worden ist. (Sehr gut! rechts.) Meine Herren, wir wollen das Gemeine bekämpfen, das Un züchtige und Schamlose; wir wollen den gesunden Sinn, der in unserem Volke lebt, ihm und vor allen Dingen unserer Jugend erhalten sehen, und deshalb kann ich nur wieder die Hoffnung aussprechen, daß es gelingen wird, durch unsere Anträge den Gesetzentwurf so zu gestalten, daß er in diesem hohen Hause die Mehrheit findet. (Lebhaftes Bravo rechts.) Bcckh (Coburg), Abgeordneter: Der Herr Kollege Roeren hat zur Rechtfertigung der Anträge, be ziehungsweise der Fassung, wie sic jetzt dem Gesetz gegeben werden soll, gesagt, es sei nur eine -minimale Verschärfung unseres Sittengesetzes- gegeben. Ich muß das ganz entschieden bestreiten. Wenn man vom Sittengesetz sprechen will — ich habe es so ver standen — so mag ja sein, daß man vom hohen moralischen Standpunkte, den her Herr Roeren einnimmt, noch weiter gehen kann. Aber wenn man unter Sittengesetz verstehen will straf- gesetzlichc Bestimmungen über Sitten, dann ist der Strafgesetz- entwurs viel weitgehender als unsere bisherigen Bestimmungen. Wenn Sie sich erinnern — und darauf ist früher auch schon häufig hingewiesen worden —, was eigentlich die Veranlassung zu dem Gesetz war, so konnte man doch wahrhaftig nicht annehmen, daß in diesem Gesetz, welches sich gegen das Zuhältertum richten sollte, welches diese Auswüchse beseitigen sollte, Bestimmungen hinein kommen würden wie die HZ 184a und b. Und, meine Herren, da haben meines Erachtens die Herren Künstler und Schriftsteller, und wer sonst noch an den Protcstvcrsaiumlungen Anteil ge- 292
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