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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 19.03.1900
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- 1900-03-19
- Erscheinungsdatum
- 19.03.1900
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- Deutsch
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64, 19. März 1900. Nichtamtlicher Teil. 2179 so für mich in Anspruch zu nehmen; denn leider gebührt mir gar nicht das Verdienst der Initiative für die Vorlage, die uns jetzt beschäftigt. Die Vorlage ist von den verbündeten Regierungen vorgelegt, und sie ist schon vorgelegt im Jahre 1892. Schon in der Vorlage vom Jahre 1892 war namentlich der vielumstrittene 8 184a fast wörtlich enthalten. Zu jener Vorlage aber hat die Veranlassung gegeben die bekannte Kaiserliche Kabinettsordre vom 23. Oktober 1891, in welcher der Kaiser das Ministerium auf sordert, gesetzgeberische Maßnahmen zur energischeren Bekämpfung der öffentlichen Unsittlichkeit zu ergreifen, und in welcher der Kaiser der Ueberzeugung Ausdruck giebt, daß die Regierung bei diesem Bestreben aus allen gesitteten Kreisen der Bevölkerung Unterstützung finden würde. (Bravo! rechts.) Mein Verdienst besteht nur darin, daß ich in den Kommissionen und auch hier im Plenum für die einzelnen Bestimmungen der Vorlage eingetreten bin, und daß ich da, wo ich es im Interesse einer wirksameren Bekämpfung der öffentlichen Unsittlichkeit für notwendig hielt, Veränderung beantragt und vertreten habe. . . . (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.) Vassermann, Abgeordneter: Meine Herren, der Herr Kollege Roeren hat sich sehr eingehend in seinen Ausführungen mit den Protestversammlungen befaßt, die aus Anlaß dieses Gesetzentwurfs in den verschiedensten Teilen Deutschlands stattgefunden haben. Das werden wir ihm nicht verargen können, da ja die Protest versammlungen ihrerseits sich auch sehr eingehend mit Herrn Roeren beschäftigt haben. Ich möchte nur das eine sagen: gewiß sind in diesen Versammlungen Maßlosigkeiten und Uebertreibungen unterlaufen; das liegt in der Natur der Sache, ist bedingt durch die Erregung des Moments, daß der eine oder andere Redner einmal über die Schnur haut, daß da manche Aeußerungen fallen, die wir alle mißbilligen. Aber auf der anderen Seite, meine Herren, möge doch der Herr Kollege Roeren die Bedeutung dieser Proteste nicht zu gering anschlagen. Meine Herren, in den Kreisen unserer Künstler ist — darüber kann ein Zweifel nicht bestehen — eine hochgradige Erregung ein getreten, und zwar im wesentlichen wegen der schwankenden, vagen Begriffe, die neu in unser Strafrecht cingeführt werden sollen; und, meine Herren, es kann nicht geleugnet werden, daß eine ganze Reihe höchst angesehener deutscher Künstler, Künstler, deren Ruhm weit über die deutsche Grenze hinausgewachsen ist, sich dieser Protestbewegung angeschlosscn hat, und es kann auch nicht be stritten werden, daß gebildete Kreise in weitem Umfang gegen Bestimmungen, wie sie sich insbesondere in den Künstler- und Theaterparagraphen befinden, energisch Widerspruch erheben. . . Nun, meine Herren, was nun die in dem Vordergrund der öffentlichen Diskussion stehenden beiden Paragraphen, den Kunst- und den Theaterparagraphen anlangt, so liegt gegen die beiden Anträge zu den §8 184a und 184d eine Reihe der schwersten juristischen Bedenken vor. Man hat sich darüber gewundert, daß die Erregung in Künstlerkreisen so hochgradig geworden ist, und daß man vielfach in den Erörterungen in Künstlerkreisen über das Ziel hinausgeschossen hat. Auf der anderen Seite ist es aber doch auch verständlich, wenn wir sehen, daß unter der heutigen Gesetzgebung derartige Dinge möglich sind, daß man beispielsweise das Böcklinsche Bild -Das Spiel der Wellen- aus der Auslage entfernt, daß da die Sorge auftaucht: ja, kann nicht einmal die Zeit kommen, wo der Rubens-Saal der Pinakothek geschlossen werden mutz, wo man zur Verhüllung der öffentlichen Statuen übergeht?! Da ist es begreiflich und deswegen auch verzeihlich, wenn die Kritik, die an die Beschlüsse des Reichstags gelegt worden ist, über das Ziel hinausgeschossen hat. Ich bin der Ansicht, daß das Kompromiß, das derartige vage Thatbestände vorschlägt, sehr schlecht in erzieherischem Sinne wirkt, sehr schlecht wirkt auf unsere Polizeiorgane, die auf Grund derartiger allgemeiner Direktiven zu noch mehr Mißgriffen Veranlassung finden, als das heute der Fall ist, erzieherisch auch schlecht wirkt auf unseren Richterstand. Der Herr Abgeordnete Roeren hat nun heute den Schwerpunkt seiner Darlegungen darauf gelegt, daß er sagt: wir wollen die Kunst nicht treffen; die edle, die hehre Kunst soll sich nach wie vor frei entfalten können; — wir wollen mit unseren Vorschlägen nur die Gemeinheit treffen, die sich in den Schaufenstern, die sich in Theatern und in Tingeltangeln breit macht. Ja, meine Herren, daß der Herr Abgeordnete Roeren für seine Person von den besten Absichten beseelt ist, das will ich ihm durchaus nicht bestreiten; aber er kann keine Garantie dafür übernehmen, daß, wenn der artige Gesetze beschlossen werden, wie sie hier in den 88 184a und b vorgeschlagen sind, dann auf Grund derartiger Vorschriften nicht die gröbsten Mißgriffe in der Praxis entstehen. (Sehr richtig! links.) Meine Herren, es heißt in dem 8 184 a: Wer Schriften, Abbildungen u. s. w. an öffentlichen Straßen, Plätzen oder an anderen Orten, die dem öffentlichen Ver kehr dienen, in ärgerniserregcnder Weise ausstellt oder anschlägt. Da ist zunächst das Bedenken: was heißt das: -andere Orte, die dem öffentlichen Verkehr dienen?» Sind das beispielsweise Museen? sind das Kunsthandlungen, in denen ein großes Publikum ständig zu verkehren pflegt? Findet in diesen ein öffentlicher Verkehr im Sinne dieser Gesetzesbestimmung statt oder nicht? Nun hat der Herr Reichskanzler bereits eine Deklaration dieser Bestimmung nach einem Bericht gegeben, der in der -Norddeutschen Allgemeinen Zeitung» enthalten ist. Es waren als Deputierte bei dem Herrn Reichskanzler erschienen Excellenz von Menzel, Professor Mommsen, Professor Reinhold Begas, Professor Gustav Eberlein, Hermann Sudermann, Adolf l'Arronge, also doch gut klingende Namen, die sich längst die allgemeine Anerkennung für ihr künst lerisches Schaffen erworben haben. Diese Konferenz hat nun diese Herren Deputierten nicht befriedigt; trotz der Abschwächungen, die seitens des Herrn Reichskanzlers mitgeteilt wurden, trotz der Auf klärungen, die erfolgt sind, konnten die Herren Vertreter sich doch nicht der Besorgnis entziehen, daß, wenn diese Vorschläge Gesetz werden, in der That das künstlerische Schaffen bedeutend eingeengt werden könnte. Der Herr Reichskanzler hat uns unter anderem hierbei gesagt, daß unter »Orten, die dem öffentlichen Verkehr dienen-, nicht auch Ausstellungsräume, Gärten, welche nur gegen Eintrittsgeld zu gänglich sind, Privatgärten, Ateliers und Verkaufsräume fallen. Meine Herren, ich habe ja die größte Hochachtung vor der Autorität des Herrn Reichskanzlers; aber diese Autorität des Herrn Reichs kanzlers ist für die Auslegung der Gerichte absolut nicht bindend. (Sehr wahr! Sehr richtig! links.) Die Gerichte sino vollständig souverän in der Auslegung einer Gesetzesbestimmung. Sie sind weder an das gebunden, was hier in diesem hohen Hause ausgeführt wird, was als die Meinung der einzelnen Redner zu den einzelnen Paragraphen sich darstellt, noch sind sic gebunden an derartige Interpretationen unseres Herrn Reichskanzlers oder des Herrn Staatssekretärs des Reichs-Justiz amts. Dieselben haben keine bindende Kraft für unsere Gerichte. Dazu kommt aber, daß der Herr Reichskanzler selbst schon Einschränkungen zieht. Er sagt: -Ausstellungsräume, Gärten, welche nur gegen Eintrittsgeld zugänglich sind». Die Museen sind ja in einem großen Teil der Städte Deutschlands unentgeltlich geöffnet; da kann jeder hineingehen. Es giebt Kunsthandlungen, wo jeder ohne weiteres Eintritt findet und sich die ausgestellten Kunstwerke ansehen kann. Ich habe mit einer Reihe von Juristen meiner Fraktion über die Auslegung gesprochen, und wir waren uns darüber klar, daß es Richter geben kann, die derartige Museen, Kunstausstellungen u. s. w. unter diese Gesetzesbestimmung bringen würden, welche sagen werden: da hat jedermann Zutritt, infolge dessen sind das eben Orte, die dem öffentlichen Verkehr vollständig offen sind! (Sehr richtig! links.) Meine Herren, dann kommt in der That die Frage: was soll daraus werden? Dann werden unter Umständen die Bestrebungen, die heute noch bei Tingeltangeln, bei der Prinzessin Chimay u. s. w. anhalten, weiter gehen und zum Fluche der Lächerlichkeit ausarten, indem sie längst anerkannte und bewunderte Kunstwerke in den Kreis derartiger Bestimmungen hineinziehen. Man hat gesagt, der Begriff des Unzüchtigen sei an und für sich schon ein schwankender. Wenn das richtig ist, was ich meinerseits nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts bestreiten muß, dann wäre es aber doch unrichtig, neben einen schwankenden Begriff noch einen schwankenderen Begriff zu setzen, der dahin sich ausdrückt, daß eine gröbliche Verletzung des Schamgefühls vor liegen muß. Es ist mit Recht gesagt, daß, wenn der Begriff des Unzüchtigen schwer zu definieren ist, noch schwerer und indi vidueller sich der Begriff des Schamgefühls darstellt, und daß namentlich nicht davon die Rede sein kann, daß man gewisser maßen ein Normalschanigefühl konstruieren und dieses dann zur Basis des Urteils machen könne. Meine Herren, es ist doch ganz klar: ein Kunstwerk wird einen ganz anderen Eindruck machen auf — ich will einmal sagen — einen Polizeidiener als auf einen Kunstkenner; der Polizeidiener mag ein ganz normal entwickelter Mann sein — hat er das normale Schamgefühl, oder hat es der Kunstkenner, oder wer hat es? Es wird also immer im einzelnen Falle der Richter zu entscheiden haben, seine eigene Individualität wird maßgebend sein; und da muß ich sagen, daß mir das doch im höchsten Grade bedenklich erscheint. Ich verweise darauf, daß ein Richter, der sein ganzes Leben in einer entfernten Provinz auf dem Lande zugebracht hat, dann in die Hauptstadt mit ihrem reichen künstlerischen Leben versetzt wird, kaum in der Lage sein wird, richtig zu beurteilen, was das Schamgefühl verletzt, und was innerhalb der Grenzen eines normalen Schamgefühls liegt. Wir werden derartig widersprechende Urteile bekommen, wenn solche neuen, vagen Begriffe in die Gesetzgebung eingeführt werden, daß das einen befriedigenden Zustand nicht abgeben wird. S91»
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