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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 19.03.1900
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- 19.03.1900
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- Deutsch
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64, 19. März 1900. Nichtamtlicher Teil. 2183 und die Entscheidung in die Hände jedes einzelnen Richters legen, so lange ist in der That ein Damoklesschwert über die ganze Künstlerschaft und das ganze Schriftstellertum gehängt. (Sehr richtig! links.) Ich bin freilich der Ueberzcugung, wenn ein solcher Faustschlag in das Gesicht der deutschen Kunst- und Wissenschaft gethan werden will (oh! oh!). daß die Faust doch schließlich machtlos niedersinken wird vor der Majestät dieser Kunst und Wissenschaft; aber immerhin wird sie Unheil anrichten. Das Schlimme dabei ist, daß man annimmt — und das ist insbesondere das Beleidigende gegenüber der deutschen Kunst und Wissenschaft —, es könnte zu dem Zwecke ge schehen, um die Lüsternheit zu erregen und das Verlangen nach pornographischer Litteratur und Kunst zu bewirken, welches viel leicht bei einigen vorhanden ist, daß man daher aus diesem Grunde meint, der deutschen Kunst überhaupt die Hände binden zu müssen. Es ist merkwürdig, meine Herren — daß muß ich sagen —, wenn man die Verhandlungen gehört hat bei der zweiten Lesung und (die Aeußerungen, die da fielen bezüglich des Arbeitgeber paragraphen und der Hinaufsetzung des Schutzalters auf 18 Jahre, daß keine Strafe hoch genug sei, um solche Vergehen zu bestrafen, daß man mit Zuchthaus Vorgehen müsse, und nun läßt inan gerade diese Paragraphen nach dem Kompromiß fallen, aber die 88 182a und 184 b hält man fest. Muß man da nicht auf den Gedanken kommen, daß es gerade wegen dieser Paragraphen ist, daß man so an dem Gesetze festhält? (Sehr richtig! links.) Das spürt man heraus, und deshalb unsere Opposition dagegen. Wir wollen gerade diese Paragraphen aus dem Gesetze heraus haben. Wenn überhaupt nach Ihrer Meinung vorgegangen werden sollte, durch Strafgesetze und Strafgerichte in dem Sinne und Geist dieses Gesetzentwurfs — ja, denken Sic nur, wie viel Gefängnisse und wie viel Richter mehr Sie da brauchen würden! Das würde eine neue Flottenvorlage geben. (Lachen rechts und in der Mitte.) So viel Geld brauchen Sie, das kann keinem Zweifel unterliegen. Man muß sich doch fragen, wenn es in dieser Weise fortgeht: was ist überhaupt nicht mehr strafbar? Alle paar Monate wird eine Novelle zuni Strafgesetzbuch gebracht, und bei jedem Schritt und Tritt muß man sich bald fragen, ob man nicht dem Strafrichter verfällt. Dann ist auch die Meinung verbreitet — ich glaube auch nicht ganz mit Unrecht —, daß es viele Leute giebt, natürlich außerhalb des Hauses, die sich ein Tugendmäntelchcn umhängen, und was hinter diesem Tugendmäntelchen steckt, ist manchmal nicht besonders schön. Erst jüngst las ich, daß ein eifriger Zionswächter bei seinem Tode einen großen Nachlaß an Bildern, darunter aber mehr als 1000 unzüchtigen Bildern hinterlasscn hat. Der Betreffende ist mit dem Gebetbuch in die Kirche gegangen und mit dem Tugend mäntelchen — und das war dahinter gesteckt! Man wirft ja da manchmal auch draußen auf dem Lande einen alten Spruch hin: »Junge Hure, alte Betschwester». Es ist das ein Satz, der gang und gebe ist, und es läßt sich nicht leugnen, daß viele, die ein sehr bewegtes Leben hinter sich haben, in den alten Tagen, wo die Bewegung nicht mehr so groß ist (große Heiterkeit), auf einmal Tugendwächter werden. Herr Kollege Träger hat bei der zweiten Lesung nicht umsonst den Ausdruck gebraucht-Tugend- Heuchelei». Das war ganz richtig gegriffen. Das zeigt sich aber auch ganz besonders bei Ihrer Behandlung des 8 184a. Ich habe vorhin von den Protestversammlungen gesprochen. Die Protest bewegungen haben sich ja ganz besonders gegen diesen Paragraphen gerichtet und gegen den 8 184b Es ist die Erörterung in der Generaldebatte von vornherein dahin gegangen, und der Herr Kollega Rocren hat damit den Anfang gemacht, daß gerade die §8 184 a und b in den Vordergrund der Verhandlung gestellt worden sind, und nach den Kompromiß anträgen, die jetzt vorliegen, ist es in der That so, daß der Kampf hauptsächlich um diese sich drehen wird. Was diese Paragraphen anlangt, so stelle ich mich vollständig auf den Standpunkt der Künstler und Schriftsteller. Meine Herren, das Nackte ist doch wahrhaftig an sich nicht etwas Schamloses; es kann unter Um ständen etwas schamlos dargestellt werden, und dann fällt es mit dem Begriff des Unzüchtigen zusammen. Mit vollem Rechte sagen gerade die Künstler und Schriftsteller, daß man über den Begriff des Unzüchtigen nicht hinausgehen kann, ohne ganz vage Begriffe zu entwickeln, bezüglich deren die Richter überhaupt in keiner Weise einen Richtungspunkt haben, und ich beziehe mich da auch auf die Acußcrung von Stenglcin in der -Deutschen Juristcn- Zeitung»; ich glaube, sie ist früher schon einmal citiert worden. Er sagt: Weshalb aber der Entwurf der Reichsregierung vollends noch einen dritten Grad beifügt, den der Verletzung des Schamgefühls, ohne unsittlich zu sein, ist noch schwerer zu erraten. Eine Unschicklichkeit fernzuhalten, genügt die Polizei. Es birgt dann aber auch weitaus nicht die Gefahr wie das Unzüchtige. Einen geschlechtlichen Reiz zu erwecken, ist gefährlich. Schamloses, welches nicht unsittlich ist, ekelt fast immer an. Es darzubieten ist nicht lukrativ; es wird deshalb meist nicht unternommen. Vollkommen Satz für Satz unterschreibe ich. So etwas Scham loses, wie es hier beschrieben wird, das erweckt den Ekel, das hat in keiner Weise eine Wirkung, welche, wie Sie meinen, eine un moralische sein könnte. O nein, im Gegenteil, die Moral wird durch den Ekel gefördert, den man über so etwas Schamloses empfindet! Nun werden Sie aber doch — es ist vorhin schon darauf hin gewiesen worden — zugeben: wir haben es sowohl mit Museen und Galerieen zu thun, als mit Ausstellungen. Unter diesen 8 184 a fallen z. B. auch die Plakate der Kunstausstellungen. Die Plakate der Kunstausstellung, wie sie insbesondere von der so genannten Sezession verbreitet sind, können auf Grund der Be stimmungen, die Sie vorgeschlagen haben, sehr wohl in den Rahmen des Gesetzes hineingenommen werden, besonders von solchen Richtern, die überhaupt ihr Lebtag nicht viel von Kunst gesehen haben, die vielleicht den größten Teil ihres Lebens auf dem Lande in beschränktem Kreise zugebracht haben. Ich fürchte, diese werden solche nackten Körper nicht dulden, weil der nach ihrer Ansicht eine Schamlosigkeit ist; und wie es den Plakaten der Kunstausstellung geht, wird es auch sonst mit den Plakaten geschehen. Meine Herren, in der neuesten Zeit können Sie, wenn Sie in das Ausstellungslokal von Schulte hinetngehen, Bilder von Her- komer sehen Diese Bilder huldigen dem Kultus des Nackten und mit vollem Recht. (Widerspruch rechts. Sehr richtig! links.) Und wenn nun eine Denunziation von frömmelnder Seite erfolgt, wie wir es ja auch schon erfahren haben, dann wird unter Um ständen der Strafrichter finden: das ist wirklich etwas, was das Scham- und Sittlichkeitsgefühl gröblich verletzt; das sind Figuren, Bilder, welche nicht Kunstprodukte, sondern schamlose Produkte sind. Und was die Reproduktion älterer Bilder anlangt, so kann es doch keinem Zweifel unterliegen, daß ein Bild oder ein Werk der Bildhauerkunst im Original entschieden mehr wirkt, die Sinne und das Gefühl mehr anregt als eine bloße Reproduktion, Stich oder Photographie; und wenn wir auf bloße Kunstwerke ver gangener Zeiten schauen, wenn wir die Malereien aus der italienischen, holländischen, deutschen Schule sehen — ich verweise auf die Bilder von Lukas Cranach, von Rubens, von Correggio, und ich erinnere an die Leda und den Besuch Jupiters bei Semele und ähnliche Bilder —, dann ist meine Meinung erst recht gerecht fertigt. In die Galerien können doch auch junge Leute hingeheu und sich die Bilder ansehen; wenn sie dagegen im Stiche die Bilder sehen, so werden sie das gewiß weniger reizend finden, als wenn sie das Bild im Original sehen. Wie wollen Sie das vermeiden, daß sich junge Augen unter Umständen daran weiden, verboten nach Ihrer Ansicht? Und wenn wir nun von dem Erhabenen etwas mehr herabsteigen in die, ich will nicht sagen niedere, aber in die mittlere Tonart, z. B. zu den Niederländern, da sind ja doch einige Bilder der beliebtesten Namen, wie Höllenbreughel und Teniers, die unter Umständen gerade solchen Verfolgungen aus gesetzt sein würden. Ich erinnere mich z. B. eines reizenden Bildes von Teniers, wo in einer Schänke in etwas derber Natürlichkeit die männlichen Holländer mit den weiblichen im Kreise herum tanzen und draußen, weil es damals noch keine Bedürfnisanstalten gab, auch noch manches andere zu sehen ist. (Heiterkeit.) Das sind Bilder aus dem Volksleben, und Sic können unmöglich sagen, daß es eine schamlose Darstellung sei. Aber wer weiß, was künftig nach 8 184a geschieht. Und wenn ich noch weiter herunter gehe, so weise ich auf das Spielzeug hin. Es giebt da mancherlei, wo Sie dann auch sagen können, das ist nicht ein Produkt der Kunst, aber etwas, was als schamlos erscheint. Denken Sie einmal an den vielfach verbreiteten Geldvonsichgeber, der kann auch dann — in der Regel wird da auch ein Stück Nacktheit zur Schau ge tragen — als schamlos bezeichnet werden. Ich will die Beispiele nicht weiter fortführen, aber ich habe Ihnen doch gezeigt, wohin cs führen kann, wenn man in solcher Weise vorgeht, und noch einmal weise ich darauf hin (Zuruf rechts) — noch einmal, ja, es ist bei der Beratung dieses Gesetzes bei verschiedenen Paragraphen darauf hingewiescn worden, daß der Denunziation vielfach Thür und Thor geöffnet wird durch solche Bestimmung, und dies zu den schlimmsten Ergebnissen führen kann. Das ist auch hier der Fall. Meine Herren, auch hier werden solche sogenannten gottesfürchtigen Seelen Anstand nehmen, die in allem 292»
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