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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 28.10.1903
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- Ausgabe
- Erscheinungsdatum
- 28.10.1903
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- Deutsch
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«Übersetzungen, die der Amerikaner Henry George in seinem Buche »?ro§r688 anä llovsrt/« mit großem Scharfsinn ge geben hat. In diesem bedeutenden Werke wurden die Gesetze der Güterproduktion, das Verhältnis von Boden, Kapital und Arbeit mit lichtvoller Klarheit dargelegt. Insbesondere möchte ich diejenigen buchhändlerischen Kollegen, denen die Berufsarbeit Zeit läßt, ab und zn ein ganzes geschlossenes Buch zu lesen, auf diese bemerkenswerte Arbeit Hinweisen; sie ist bei Reclam zum Preise von 1 in guter Übersetzung (Fortschritt und Armut) erschienen. Man wird nicht unbe dingt alles billigen, was George darzulegen versucht; er trägt manchmal etwas grell auf, hat aber in der Hauptsache durchaus recht, und seine Deduktionen sind von zwingender Kraft. Man kann ein ganzes Arsenal von Zitaten aus dem Buche gegen Büchers schnell hingeworfene (vergl. die eben er schienene 2. Auflage) Argumentationen sammeln. -Wir gewöhnen uns gar bald an den Gedanken der Not, daß wir gar nicht fühlen, wie ein llbel, das für den Betreffenden, je länger es währt, je größer auch wird, für den Zuschauer eben seiner Dauer wegen geringfügig erscheint.-- (S. 299.) Professor Bücher ist ein solcher unbeteiligter Zuschauer; er vernimmt immer wieder Klagen über Klagen über den Krebsschaden des Rabatts und sucht die Ursache ganz wo anders, als wo sie liegt. Noch eine andre Stelle wollen wir hier und diesmal anwenden, zum Belege dafür, was wird, wenn wir nicht endlich die wirtschaftliche Lage des Sortiments zu bessern streben. (S. 321.) -Zwingt man einen Menschen zu den niedrigsten Arbeiten, um die äußersten Bedürfnisse des tierischen Lebens zu befriedigen, so wird er die Anregung zur Tätigkeit — den Erzeuger der Ge schicklichkeit — verlieren und nur tun, was er zu tun genötigt ist. Bildet man seine Lage derart, daß sie nicht mehr viel schlimmer werden kann, während ihm nur wenig Hoffnung übrig bleibt, daß er sie irgendwie verbessern kann, so wird er aushören, auf morgen u denken. Verwehrt ihm die Muße — und Muße will nicht agen Mangel an Beschäftigung, sondern die Abwesenheit jener Not, die ihn zu einer unliebsamen Beschäftigung zwingt — und Ihr könnt ihn nicht intelligent machen, mögt Ihr auch das Kind in die Volksschule schicken und den Mann mit einer Zeitung ver sehen. Es ist wahr, daß Verbesserungen der materiellen Lage eines Volkes oder einer Klasse sich nicht sofort durch geistige oder sittliche Verbesserungen äußern. Ein höherer Lohn mag zunächst Trägheit und Lottcrei schaffen, aber schließlich wird er vermehrten Fleiß, Geschicklichkeit, Intelligenz und Mäßigkeit Hervorbringen. Angestellte Vergleiche zwischen verschiedenen Ländern, verschiedenen Klassen desselben Landes, zwischen denselben Leuten, wenn ihre Lage sich durch Auswanderung verändert hat, zeigen als unab änderliches Resultat, daß die erwähnten persönlichen Eigenschaften erscheinen, sobald die materielle Lage sich verbessert hat, daß sie verschwindet, wenn die materielle Lage sich verschlechtert. Armut ist die Pfütze der Verzweiflung, die Bunyan in seinem Traume sah, in die gute Bücher bis zum jüngsten Tage hineingeworfen werden können. Um die Leute fleißig, vorsichtig, geschickt und intelligent zu machen, müssen sie vom Mangel befreit werden.- Wir wollen, um die Tragweite der Erhaltung oder des Absterbens des Provinzialsortiments klar zu machen, einmal die Vorgänge des Geisteslebens durch eiu Bild veranschau lichen; nicht um Herrn Professor Bücher zn überzeugen, dazu ist wenig Hoffnung vorhanden; sondern um die Unparteiischen darauf aufmerksam zu machen, daß die Erscheinungen in der Welt sich bald im großen, bald im kleinen unter ganz ähnlichen Bedingungen vollziehen. Alles Leben beruht auf Bewegung, auf Zirkulation. Die lebende Sprache zirkuliert von Mund zu Mund; dabei sterben beständig Worte ab, andre tauchen auf. Das viel gebrauchte Wort nutzt sich ab, bekommt niedrige Bedeutung, wie die Worte gemein, gewöhnlich, Kerl, Schimpf, schlecht. Diese bedeuteten früher allgemein, gewohnt, Mann, Scherz, schlicht. Derselbe Entwicklungsgang der Aufnahme neuen Stoffs, Verarbeitung, Anpassung, Abnutzung und Aus scheidung wiederholt sich überall, wo Leben herrscht, in Kunst und Literatur, in den Wissenschaften, Gebräuchen und Sitten; ebenso aber auch in der organischen Welt. Im Baume steigen Säfte auf und ab, Gase werden ein- und ausgeatmet; im Menschen zirkuliert das Blut, das fortgesetzt Gewebe, Haut, Knochen, Nerven, Muskeln und Fett bildet, das die Lunge passiert, um Sauerstoff aufzunehmen und Kohlensäure abzuscheiden, das in die Niere wie in einen Filler eintritt, um Stoffe abzugeben, die bei mangelnder Ausscheidung den Organismus töten würden. Das Blut kreist unaufhörlich und erhält seine Ergänzung durch Zu leitung von Nährflüssigkeit (LympheX In den feinsten Haarröhrchen der Blutbahn tritt die Lymphe aus, gibt Nährstoff ab, nimmt Abgenutztes auf und kehrt wieder in die Blutbahn zurück, in der die Zerfallprodukte rasch aus gesondert und abgeschieden werden. Was sich hier so überaus sinnreich und künstlich im kleinen mit der leiblichen Ernährung vollzieht, wiederholt sich wutati8 Ivvt-rnäis im großen mit der geistigen Nahrung, mit dem vutriwkvturv 8piritv8. Das geistige Material, die Auffassung und Deutung der Welterscheinungen wird durch die gelehrten Köpfe, die dieses Material verarbeiten, aufbereitet, assimilierbar ge macht und dem Blutkreislauf des Buchhandels, der unauf hörlich pulsiert, zugeführt. Was die Verleger dem Kreis lauf liefern, ist arterielles, was die Sortimenter zurückgeben, ist venöses Blut. Treten in diesem Kreislauf Störungen ein durch überschüssige Zufuhr, oder durch Mangel, durch unvollkommene Umbildung, durch unzureichende Ausscheidung, so entstehen Krankheiten, die wir beim menschlichen Organis mus als Fettsucht, Auszehrung, Zuckerharnruhr, Urämie bezeichnen. Auch die Literatur kann an Fettsucht, Aus zehrung, Diabetes rc. leiden. Es wird nun gegenwärtig viel über Überproduktton geklagt, die wir als geistige Vollblütigkeit bezeichnen können. In der Tat wird dem deutschen Volk ja eine ungeheure Menge geistiger Nahrung zugeführt, und wenn Verbrauch und Ausscheidung nicht gleichen Schritt halten, so entstehen bald Stockungen und Stauungen, die lähmend zurückwirken. Nun sind die Verlagsbuchhändler den Schlagadern ver gleichbar, die ständig frisches Blut führen, aber auch ständig elastisch bleiben müssen. Ein Verlag, dessen Inhaber sich nicht ständig frisch erhält, gerät in Gefahr zu verkalken, was wir in diesem Fall literarische Arteriosklerose nennen können. Die Sortimentsbuchhandlungen sind dagegen den Haarröhr chen des Kreislaufs ähnlich, die das Brauchbare abgeben, das Unbrauchbare zurücksenden. — Je nachdem nun die verschiedenen Klassen geistige Nahrung brauchen, gibt der Sortimenter Stoff für diese Teile des Volkskörpers ab; genau so, wie durch das Blut jeweilig Nerven, Muskeln, Sehnen, Knochen oder Bindegewebe, Haare oder Nägel gebildet werden sollen, werden durch Literatur verschiedener Art Ge lehrte, Kaufleute, Handwerker, Landwirte oder Rentiers, Sportsleute oder Soldaten > gebildet«. Treten nun bei diesem Blutkreislauf Störungen ein, die nicht allzu tief greifen, so hilft der Körper sich selbst. Er gesundet von selbst durch Entzündung, Geschwürbildung und Ausstoßung des Schädlichen. Unter Beibehaltung dieses Gleichnisses können wir nun den Lebenskampf, den der Buchhandel in den letzten Jahr zehnten geführt hat, mit einem die Heilung herbeiführeuden Fieber vergleichen, das die Tendenz hat, die kranken Organe gesund, d. h. funktionsfähig zu machen. Die Organe, die die Verteilung des geistigen Nahrungsstoffes zu besorgen haben, müssen von der Gesamtheit genau so ernährt werden, wie alles andre; sie geben, wie alles Organische, zu ihrer eignen Erhaltung Stoff ab und nehmen neuen auf, andern falls können sie auf die Dauer nicht ihre vorgeschriebene Arbeit leisten, die Umgebung stirbt ab, verkümmert und wird leblos.
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