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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 13.10.1903
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- 13.10.1903
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- Deutsch
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8034 Nichtamtlicher Teil. 238, 13. Oktober 1903. scheinen, die früher ganz undenkbar waren oder es sogar auch jetzt dazu brachten, verboten zu werden. Tschernyschewskijs Artikel über die Gogolsche Periode der russischen Literatur wurden immer kühner; in Nr. 7 des »8ovrsmsnnitz« von 1856 begann in ihnen Bjelinskij schon mit Namen genannt zu werden, während man früher von ihm nur in Andeutungen sprach. Die Gegner der Bewegung ergaben sich nicht leicht; der Kampf zwischen ihnen und den Parteigängern einer relativen Öffentlichkeit wurde mit wechselndem Erfolge geführt. So rief der Artikel Aksakows über die Helden des Großfürsten Wladimir Kontroversen in der Hauptverwaltung der Zensur hervor; eins ihrer Mitglieder sah darin ein unsinniges Lob der ehemaligen Freiheit, aber der Artikel wurde doch durchgelasscn. Zwei offizielle Zeitschriften, der »Norskoj Lbornile- (Marinemagazin) und »VVojsvn^j 8dornilr« (Militär magazin) , an denen hervorragende Schriftsteller jener Zeit iTschernyschcwskij) mitwirkten und wo verhältnismäßig kühne Enthüllungen der Unterschleife und andrer Unordnungen während des Krieges zu erscheinen begannen, riefen eine Reaktion hervor; das Militärzensur-Komitee, das sich ihnen gegenüber als zu weich erwiesen hatte, wurde aufgehoben, und die Zensierung jener Zeit schriften der allgemeinen Zensur übergeben, die sie auch vollständig zu zügeln wußte (1858). Die Verringerung der Vielheit der Zensur fand darin ihren Ausgleich, daß dem Zensurkomitee in Moskau vorgeschrieben wurde, alle Artikel, die sich auf das Tschernomorische Wojßko und auf Sibirien beziehen, zur Durchsicht zu schicken: die erstern an die Kanzlei des Kaukasischen Komitees, die andern an das Sibirische Komitee (1857). Ein Zirkular des llnterrichtsministcrs schrieb 1857 den Zensurkomitees vor, keinen Tadel der Maßregeln der vorigen Regierung zuzulassen, über haupt erweisen sich die Jahre 1855—62 in der Geschichte der Zensur als äußerst schwankend; heute wurde ein Artikel frei durch- gelassen, und morgen oder in einer andern Stadt ein ganz ähnlicher Artikel verboten; dies bezog sich insbesondre auf die anklaqenden Korrespondenzen. Am meisten wurde die öffentliche Meinung durch die Bauern frage aufgeregt; sie stand unter dem besondcrn Schutze der Zensur, die in dieser Beziehung verhältnismäßig konsequent war (jedoch auch nicht ohne Schwankungen). In der Ange legenheit der Bauernbefreiung rechnete die Regierung nicht auf die Unterstützung der öffentlichen Meinung und fürchtete diese sogar; Fürst Wjasemskij, der in andern Fällen gegen den Druck der Zensur kämpfte, schrieb an das Moskauer Zensurkomitee, die Befreiung der Bauern sei eine Frage, die allein der Entscheidung der Regierung unterliege, und »die Teilnahme der Literatur an dieser Sache werde kaum Nutzen bringen«. Kraft dieser Ansicht erhielt der Zensor, der 1858 im -8ovrswennilc« den Artikel Kawelins »Über die neuen Bedingungen des Lebens auf dem Lande« durchgelassen hatte, einen Verweis, und den Zensur komitees wurde vorgeschrieben, Artikel solcher Art nicht zuzulassen. Der -kuLsirij IVjsstnitz- mußte die eben erst eröffnet? Rubrik -Die Vauernfrage« wieder schließen (1858); in den Gedichten Nekrassows wurden alle Anspielungen auf die schwere Lage der Bauern be seitigt (z. B. wurde das Gedicht »Wo einstmals Gutsherr war auch ich« verboten, aber es wurde erlaubt, an die Stelle des Guts herrn »Despot« zu setzen). Mehr Schwanken zeigte die Zensur bezüglich der Zulassung oder Nichtzulassung von Artikeln über die Freiheit des Worts. 1859 wurde Aksakows »Larus« (Segel) bei der zweiten Nummer verboten wegen Artikel, in denen man eine Verteidigung der Freiheit des Worts sah, die aber das Moskauer Zcnsurkomitee durchgelassen hatte (es erhielt dafür einen Verweis). 1862 wurde Aksakows »Dons» (Tag) zeitweilig verboten wegen eines Artikels, in dem die Freiheit des Worts als das unveräußerliche Recht eines jeden Russen bezeichnet war. In demselben Jahr wurden ebenfalls zeitweilig verboten der »8o^rsrasnnile- und -Ilusstzojs 8lovo- (Russisches Wort). Um diese Zeit herum wird aber die Tendenz der Zensur weit bestimmter. Eine zurückhaltende Kritik der Regierungsmaßregeln und der Gesetzentwürfe wird erlaubt, dagegen begegnet die Veröffentlichung theoretischer Werke über Fragen der Politik, Philosophie, Ökonomie, wenn sie mit den An sichten der Regierung wenig harmonieren, ferner allgemeinere Darstellungen der Notstände des Volks und insbesondere von Korre spondenzen anklagcnden Charakters großen Schwierigkeiten. Im allgemeinen war die Lage der Presse unvergleichlich freier, als während der ganzen Regierungszeit Nikolaus' I., aber eine Ver gleichung mit den ersten Jahren Alexanders II. läßt keine ent scheidenden Schlüsse zu. Mit dem Jahre 1857 wurden die Vorbereitungen zu einer Reform der Zensurgcsetzgebung in Gang gebracht, und sie kam auch, nach einigen teilweise» Verordnungen, in den Zeitweiligen Bestimmungen des Jahres 1865 zustande. Fast in demselben Moment, wo sich diese Reform vollzog, trat in der Gesellschaft ein Rückschlag ein. Die ausländische Presse, unter der der »Lolotzol« (Glocke) lange Zeit eine hervorragende Rolle spielte, verlor ihren Reiz; ein beträcht licher Teil der Liberalen wurde konservativ (Katkow). Dies gab die Möglichkeit, bei einem weit freier» Zensurgesetz ein Zensur regime zu schaffen, das kaum beträchtlich freier war als das Regime der Jahre 1862—65. Jedenfalls machte sich gleich nach der Veröffentlichung der Zeitweiligen Bestimmungen von 1865 ein Bestreben nach rückwärts bemerkbar, das sich auch in der Zensur- gesctzgcbung und mehr noch in der Zensurpraxis aussprach. Übrigens schufen die Zeitweiligen Bestimmungen nicht ein, sondern zwei recht verschiedene Regimes. In den Residenzen wurden die periodischen Publikationen von der Präventivzensur ausgeschlossen, waren der Einwirkung der Verwarnungen und des Gerichts unter stellt, die umfangreicher» Bücher standen aber nur unter der Gewalt des Gerichts. Dieses verhältnismäßig freie Regime übte seine Rückwirkung auch auf die Bücher von weniger als zehn Druckbogen aus, die von der Präventivzensur nicht befreit waren. In der Provinz war dagegen kein einziges Journal, keine einzige Zeitung von der Prävcntivzensur ausgenommen, obgleich dies nach dem Zensurgesctz erlaubt war, und die Bücher konnten kraft des Ge setzes nicht ausgenommen werden; cs herrschten dort ganz vor- reformliche Zustände. Nicht selten wurden Artikel, die in den Provinzialblüttern verboten waren, in den Residenzblättcrn unbe anstandet veröffentlicht mit der ausdrücklichen Bemerkung, sie seien soeben verboten worden und kämen eben deshalb hier zum Druck, obgleich sie für das Publikum der Residenz wenig Interesse hätten. Ein allgemeineres Interesse erlangte die Provinzialzensur im Jahre 1879 durch den Prozeß Nikoladses, Redakteurs der Zeitung »Odsor» (Rundschau) ln Tiflis, der einige Bemerkungen ohne Vor wissen der Zensur abgedruckt hatte. Bei Gericht wurde angegeben, was der Zensor mit einer Provinzialzeitung macht. In der Phrase: -Wieviel Hunde des Hausmeisters muß der Lieferant kosen?« (um einen Auftrag zu erhalten), streicht der Zensor die ersten zwei Worte und es bleibt der sinnlose Satz übrig: -Den Hausmeister*) muß der Lieferant kosen«; er erlaubt sich nach Gut dünken den Stil zu verbessern, hält eilige Zeitungsnachrichten tagelang zurück, usw. Nicht selten verbietet die Provinzialzensur einfache Wiederabdrücke aus erlaubten Zeitungen der Residenzen und sogar aus dem »Regierungsanzeiger-. Der Unterschied zwischen der Residenz- und der Provinzialpresse erklärt sich nicht so sehr durch die juristischen Eigentümlichkeiten der zensurpflichtigen und der zcnsurfreien Presse, als durch die Verschiedenheit der Lage, in der sich die Residenz- und die Provinzialorgane befinden. Nicht selten schicken Prorunzialautoren ihre Arbeiten, die sie in der Form eines Buchs von weniger als zehn Druckbogen, also unter Präventivzensur veröffentlichen wollen, an die Zensur nach Petersburg. In Petersburg fand seit 1865 eine lange Reihe von Prcß- prozessen statt; die bekannteren sind: der Prozeß Hajdeburows aus Anlaß eines Buches von Wundt, — Pawlenkows, bezüglich der Werke Pissarews, — Schtschapows, ein Buch von Louis Blanc, — Poljakows, Leckys Geschichte des Rationalismus, — Suworins »Allerhand«, Pypins und Shukowskijs Artikel -Die Frage der jungen Generation« im -8ovrewsnnile«. Manchmal gelang es den Herausgebern ihre Rechte zu behaupten; dennoch wurden all jährlich Dutzende von Büchern verbrannt, zuweilen sogar solche über Naturwissenschaften, wie Haeckels »Natürliche Schöpfungs geschichte« (russische Übersetzung. Petersburg 1872). Die periodischen Veröffentlichungen unterlagen Verwarnungen und Verboten (die wichtigsten sind die Verbote des »8o^vrsmsnnitz« und des »Russleojs 8lovo- 1866); aber gleichzeitig wurde auch, wenn auch nicht ohne Mühe, die Erlaubnis zu neuen Journalen erteilt (-vjslo-). In den siebziger Jahren hörten die gerichtlichen Verfolgungen in Preßsachen auf, und es wurde alles der dis kretionären Gewalt der Zensur anheimgestellt. 1873 erhielt der Minister des Innern das Recht, der periodischen Presse zu ver bieten, gewisse Fragen -pl berühren, und von der Zeit an versendet das Ministerium alljährlich einige Dutzend solcher verbietender Zirkulare. Diese sind gewöhnlich terminlos ausgestellt, verlieren manchmal durch sich selbst — taoito oonssnsu — ihre Kraft, werden seltener wieder aufgehoben. 1897 wurde der Versuch gemacht, die Zirkulare zu kodifizieren. 24 derselben, die noch in Kraft standen, wurden zusammcngestellt, gedruckt und an die Redaktionen und Zensoren gesandt. Später wurden viele neue herausgegeben. Im ganzen bildeten diese Zirkulare gewissermaßen eine selbständige Gesetzgebung, die neben dem Zensurgesetz einherging und in mancher Beziehung wichtiger war als dieses, weil darin präzis angegeben war, wovon nicht gesprochen werden durfte. Die Bestimmungen des Zensurgesetzes, die sich auf diese Seite der Sache beziehen, haben den größten Teil ihrer Bedeutung verloren, teils zum Vorteil der Literatur ;so wird der Paragraph, der die Darlegung der schädlichen Lehren des Sozialismus und Kommunismus verbietet, nicht mehr an- *) Statt »des Hausmeisters«; bei dem betreffenden russischen Wort ist nämlich der Genetiv gleich dem Akkusativ.
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