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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 10.10.1903
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- 10.10.1903
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- Deutsch
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die Presse, als damals selbst die höchsten Würdenträger nur eine sehr verschwommene Vorstellung von der Bedeutung des Gesetzes im Staate hatten. Als Illustration dazu kann auf den folgenden, in den Memoiren Koschelews berichteten Fall hingewiesen werden: Graf Benckendorff läßt einmal den Herausgeber der »Litteratur- zeitung-, Baron Delwig, zu sich kommen und erteilt ihm einen scharfen Verweis, weil er einen liberalen Artikel veröffentlicht hatte. Delwig antwortet ruhig, daß der Herausgeber gesetzlich nicht haftet, wenn der Artikel von der Zensur erlaubt ist. Da sagte der Chef der Gensdarmerie zu Delwig: -Gesetze sind nur für die Untergebenen da, aber nicht für die Vorgesetzten, und Sie haben kein Recht, sich bei Erörterungen mit mir auf die Gesetze zu berufen, noch sich mit ihnen zu rechtfertigen«. Die Julirevolution des Jahres 1830 verstärkte die Reaktion noch mehr; ihr erstes Opfer wurde die »Litteraturzeitung«. Weil in der Nummer 61 des Jahrgangs 1830 die vier Verse Delavigncs -Uranos, äis moi Isurs noms usw.«, die auf das Pariser Denkmal der am 27. bis 29. Juli Gefallenen gesetzt werden sollten, in französischer Sprache abgedruckt waren, wurde Delwig das Recht der Herausgabe der Zeitung entzogen, was eine solche Wirkung auf ihn ausübte, daß er krank wurde und bald darauf starb; auch die Zeitung hörte kurze Zeit nach seinem Tode auf. 1832 wurde gleich beim zweiten Heft das Journal »Der Europäer« wegen des darin enthaltenen Ar tikels Kirjejewskijs »Das neunzehnte Jahrhundert« verboten. Kirjejewskij, der nicht nur der Verfasser des beschuldigten Artikels, sondern auch der Herausgeber des Journals war, erhielt eine »Benachrichtigung« über das Verbot des Journals, die er mit Recht ein »historisches Schriftstück« nennt. Sie lautete: -Obgleich der Verfasser sagt, daß er nicht von der Politik, sondern von der Literatur spricht, so meint er doch etwas ganz anderes: unter dem Namen Aufklärung versteht er Freiheit, Tätigkeit des Ver stands bedeutet bei ihm Revolution und die geschickt aus gesuchte Mitte nichts andres als Konstitution. Dieser Artikel durfte in einer Literaturzeitung nicht gestattet werden, in der es verboten ist, etwas über Politik zu bringen, und der ganze Artikel ist, all seiner Abgeschmacktheit ungeachtet, in dem aller übel gesinntesten Geiste geschrieben« usw. Eben wegen dieses Ver gehens wurde das Journal verboten und Kirjejewskij selbst für einen -nicht wohlgesinnten und unzuverlässigen« Menschen erklärt, sowie unter polizeiliche Aufsicht gestellt. 1834 wurde wegen Ab drucks einer Rezension von Kukolniks Drama »Die Hand des Höchsten hat das Vaterland gerettet«, der -Moskauer Telegraph« verboten und der Herausgeber desselben, Nikolaj Polcwoj, mit Gensdarmen aus Moskau nach Petersburg gebracht, um in Haft gesetzt zu werden. In der Rezension des in den höhern Kreisen gebilligten Dramas standen die Worte: »Das neue Drama des Herrn Kukolnik betrübt uns sehr«. Eben hier für wurde Polewoj verhaftet, und obgleich die von ihm beim Verhör abgegebene Er klärung dieser Worte als ausreichend befunden wurde, um ihn aus der Haft zu entlassen, so wurde trotzdem doch das Journal für immer unterdrückt. 1836 wurde das von Nadeshdin heraus- aegebene Journal »Teleskop« für immer verboten. Ursache war, daß darin der erste »philosophische Brief« Tschaadajews veröffent licht war. Außer dem Verbot des Journals wurden noch persönlich bestraft sowohl der Herausgeber desselben, als auch der Verfasser des »philosophischen Briefes«. Nadeshdin wurde nach Ust-Syssolsk (im Gouvernement Wologda) verschickt und Tschaadajew auf Ver fügung von oben für irrsinnig erklärt. Die Erlaubnis zur Herausgabe neuer Journale zu erlangen, wozu ohnehin schon jedesmal die Allerhöchste Bewilligung erbeten werden mußte, wurde zu einer in hohem Grade schwierigen Sache. Als A. A. Krajewskij und Fürst W. F. Odojewskij 1836 ein Gesuch einreichten, ihnen die Herausgabe des »kussüij Lboruiü» (Russisches Magazin) zu erlauben, erhielten sie zur Antwort, -es gibt schon so genug Zeitungen«. Dieselbe Antwort erhielt 1844 T. N. Granowskij, als er sich um die Erlaubnis zur Herausgabe der »Moskauer Rundschau« bemühte. Eins der merkwürdigsten Dokumente, die die Lage der Presse von 1825 bis 1855 charakteri sieren, ist das Tagebuch A. W. Nikitenkos, dem wir einiges ent nehmen: »2. Oktober 1827. Mein Werk über die politische Öko nomie ist an vielen Stellen von der Zensur ausgeschnitten. Unter anderm ist bei mir an einer Stelle gesagt: „Adam Smith setzte die Gewerbefrciheit zum Eckstein des Wohlstandes der Völker" usw. Das Wort „Eckstein" ist ausgestrichen, weil, wie der Zensor tiefsinnig bemerkt, der Eckstein Christus ist, also dieses Epitheton zu etwas anderm nicht verwendet werden darf.« — „30. Dezember 1830. Das vergangene Jahr brachte überhaupt wenig Erquick liches für die Aufklärung in Rußland. Auf ihm lastete der klein liche Geist der Bedrückung. Viele Werke in Prosa und Versen wurden aus den nichtigsten Gründen — man kann sogar sagen, ohne jeden Grund — verboten, unter dem Einfluß der Panik, die die Zensur beherrschte. Das Zensurgesetz ist überhaupt umgestoßen. Wir haben uns von der bittern Wahrheit zu überzeugen, daß es in Rußland keinen Schatten von Gesetzlichkeit gibt.« — „16. Februar 1831. Ich war im Theater in der Komödie Gribojedow's „Verstand schafft Leiden". Jemand bemerkte witzig und richtig, daß in diesem Stück nur noch „Leiden" geblieben sei, so entstellt war es von der Benckendorff'schen Literaturverwaltung.« — »26. Oktober 1832. Eine neue Hetze auf die Literatur. In den Erzählungen Luganskijs (W. Day hat man irgend welchen schrecklichen Anschlag gegen die Obergewalt gefunden.« — Im Dezember 1834 hatte Nikitenko acht Tage Arrest auf der Hauptwache zu erdulden, weil er eine Übersetzung von Viktor Hugos Gedicht »An die Schöne« in der »Lesebibliothek« durchgelassen hatte. — »14. April 1836. Puschkin wird von der Zensur hart bedrängt. Er hat sich über Krylow beklagt und gebeten, ihm einen andern Zensor zu geben zur Aushilfe des erstern. Man hat Gajewskij dazu ernannt; Puschkin bereut dies; aber zu spät. Gajewskij ist von der Haupt wache, aus der er acht Tage zubringen mußte, so eingcschüch- tert, daß er im Zweifel ist, ob man in der Presse eine Nachricht, wie z. B. daß der und der König gestorben ist, durchlassen darf.« — 12. September 1842 wurde Nikitenko zusammen mit Kutorga wieder auf die Hauptwache gesetzt wegen des folgenden Vergehens. In den »Vaterländischen Memoiren« hatte ein gewisser Jeftbowskij eine Erzählung unter dem Titel »Die Gouvernante« veröffentlicht. Bei der Beschreibung eines Balles führt der Verfasser ein Gespräch zweier Gäste an, von denen der eine sagt: .Ich frage Sie, warum soll die Figur dieses Feldjägers hier mit dem glänzenden, ganz neuen Achselbande schlecht sein? Da er sich für einen Soldaten und, was noch besser ist, für einen Kavalleristen hält, hat der Herr Feldjäger das volle Recht zu glauben, daß er interessant ist, wenn er mit den Sporen klirrt und den Schnurrbart dreht, be strichen mit einer Pomade, deren rosiger Duft sowohl ihn selbst als die mit ihm tanzende Dame angenehm umgibt.« Dann wurde »ein Fähnrich der Bauabteilung der Verkehrswege »beschrieben«, mit großen Epauletten, einem hohen Kragen und einem noch höhern Halstuch«. Beide Stellen fand der Graf Kleinmichel beleidigend für die Offiziere im allgemeinen und für die Feldjäger im besondern; auf seinen Bericht darüber wurde beschlossen, Nikitenko und Kutorga zu verhaften. — Am 21. Dezember 1843 fand nach der Aufzeich nung Nikitenkos eine Auseinandersetzung des Fürsten G. P. Wolkonskij mit dem Unterrichtsminister Uwarow statt, bei der der letztere sagte, er möchte, daß die russische Literatur endlich ganz abgeschafft werde. »Dann wird es wenigstens etwas Bestimmtes geben, und die Hauptsache ist, ich werde ruhig schlafen.« —5. August 1847. »Ich komme aus der Zensursitzung, hatte einen Streit mit dem Kurator, der sagte, man müsse die Romane aus Rußland entfernen, damit niemand mehr Romane läse.« — 17. Januar 1848. »Eine Gewitterwolke zieht sich über den „Vaterländischen Memoiren" zusammen. Vor etwa drei Monaten kamen bei einigen jungen Leuten, Schülern des Bergkorps, liberale Ideen zum Vorschein. Einer von ihnen bekannte, er habe diese Ideen den „Vater ländischen Memoiren" entnommen.« Das Zeugnis Nikitenkos bildet durchaus keine Ausnahme. Snegirew sagt in seinem Tagebuche geradezu, daß z. B. die Leib eigenschaft als eins der unberührbaren Dogmen der politischen Religion Rußlands anerkannt wurde, und führte zum Beweise dafür die folgende Tatsache aus der Zensurpraxis der dreißiger Jahre an. Einmal, bei seiner Anwesenheit in Moskau, nahm der llnterrichtsminister Uwarow an einer Sitzung des Moskauer Zensurkomitees teil. Nachdem er sich darüber ausgesprochen, daß man in den höheren Sphären mit einigen Zensoren wegen ihrer Schwäche unzufrieden sei, fügte er hinzu, sie brauchten irgend welche Folge wegen ihrer Strenge nicht zu befürchten: »Beschwer den über Sie werden fruchtlos sein», sagte er und fuhr dann fort: »Die politische Religion hat ebenso ihre unantastbaren Dogmen, wie die christliche Religion. Bei uns sind es die Selbstherrschaft und die Leibeigenschaft; — wozu sie berühren, wenn sie zum Wähle Rußlands durch eine starke und kräftige Hand befestigt sind?» In den Jahren 1830 bis 1840 sah sich der Chef der Dritten Ab teilung der Eigenen Kanzlei Seiner Kaiserlichen Majestät für den »Herrn der russischen Literatur« an; aber das hinderte nicht, daß sich »Ressortzensuren« verschiedener Art immer mehr ausbreitcten, die alle dies oder jenes Ressort betreffenden Artikel durchsahen. Zu leich wurde die Menge der geheimen Verfügungen über die iensur so groß, daß es sogar für die Zensoren' schwer war, sich darin zurechtzusinden. 1848 erreichte die Reaktion ihren Gipfel punkt. Als Blitzableiter gegen die Möglichkeit einer Wiederholung der westeuropäischen Ereignisse in Rußland erkannte man eine weitere Vergrößerung der »Wachsamkeit« der Zensur über die Literatur an. Die Zensoren wurden mit Verweisen und Strafen wegen Nachsicht überschüttet, und sie berichteten, -daß, wenn der Regierung nur alle Werke und Stellen in den Artikeln, die von ihnen zun: Druck verboten worden sind, bekannt wären, sie sehen würde, wieviel schädliche Bücher und Gedanken dadurch zurück- ehalten worden sind, und sie den Eifer und die Vorsorge der Zensoren noch dazu loben würde.« Diese Erklärungen wurden als Beweis ausgenommen, daß in Bezug auf die Literatur noch
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