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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 28.05.1904
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1904-05-28
- Erscheinungsdatum
- 28.05.1904
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
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4640 Nichtamtlicher Teil. ^ 121, 28. Mai 1S04. Nichtamtlicher Teil. Die unsittliche Literatur und derBuchhandel. Ein Kantate-Nachklang von H. Seippel. Der liebenswürdige Festausschuß hatte mir einen sehr guten Platz gegeben an der Tafel des Kantate-Festmahls, am Tisch VII. wo ich mitten in dem großen Saale und in unmittelbarer Nähe des Börsenvereins-Vorstandes und der Ehrengäste saß und nach allen Seiten das interessante Bild der im Festkleide erschienenen vornehmen Gesellschaft über blicken konnte. Da aber für jeden Teilnehmer des Festmahls seine nächsten Nachbarn das größte Interesse besitzen, so will ich bemerken, daß der Festausschuß auch in dieser Be ziehung ganz vorzüglich für mich gesorgt hatte. Die Namen möchte ich jedoch verschweigen, um nicht den gerechten Neid meiner Kollegen hervorzurufen. — Es entspann sich sehr bald eine angeregte Unterhaltung, in deren Verlaufe ich unter anderem befragt wurde, ob nicht der Hamburg-Altonaer Buchhändlerverein einmal in besonderer Weise gegen die Verbreitung der unsittlichen Literatur aufgetreten sei. Dies konnte ich bejahen und erzählte meinen Tischnachbarn, daß unser Verein mit Unterstützung einer großen Anzahl der an gesehensten Verlags- und Sortimcntsfirmen Deutschlands, unter dem Regiment des Reichskanzlers Caprivi, eine Ein gabe an das Auswärtige Amt gerichtet, und ersucht hatte, gegen bestimmte Firmen in Holland vorzugehen, die in direkt per Post versandten Verzeichnissen die allergemeinsten Literaturmachwerke anboten. Unserem Ersuchen wurde ent sprochen. wir erhielten die befriedigende Anzeige, daß die holländische Regierung einige der unsauberen »Kollegen- mit Gefängnishaft bestraft und ihre Schriften beschlagnahmt habe. — Zu dieser Mitteilung äußerte mein fragestellender Tisch nachbar, daß neuerdings ja die unsittliche Literatur wieder stark auftauche, und meinte, daß unbedingt etwas geschehen müsse, um dem heillosen Unwesen ein Ende zu bereiten. Dieser Meinung schloß ich Mich an und habe ferner darüber nachgedacht, welche Kampfmittel seitens des ehrenhaften Buch handels wohl mit Erfolg zu ergreifen sein würden. In den nachstehenden Ausführungen möchte ich versuchen, der Sache beizukommen. Die echte Kunst ist edel und fromm durch den Geist, in welchem sie arbeitet; denn slir die. welche es begreifen, macht nichts die Seele so fromm und rein, als die Mühe, etwas Vollendetes zu schaffen. Michelangelo. In neuer Zeit ist oft gesagt worden — auch im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel —, daß für die Beurteilung von Literatur- und Kunstwerken der künstlerische Gesichtspunkt maßgebend sei. Man hat sogar in Abrede ge stellt. daß ein Buch oder ein Bild als unsittlich bezeichnet werden könne, wenn die Darstellung in künstlerischer Weise erfolgt sei. Das heißt also so viel, daß nicht der innere Gehalt, sondern die Form über die Wertung eines Kunst werks entscheidet. Wenn ich dazu ein Wort zu sagen mich anschicke, so denke ich nicht daran, meine persönliche An schauung andern aufdrängen zu wollen: ich denke ferner nicht daran, auch nur einen Kunstfanatiker bekehren zu wollen. Was mich zum Schreiben antreibt, besteht lediglich darin, alle Angehörigen des deutschen Buch- und Kunst handels. denen die Überzeugung von der Kunst als eine die Menschheit erfreuende und erhebende göttliche Kraft, noch nicht verloren gegangen ist. aufzurufen zur Abwehr und zum Kampf! ES ist allerdings klar, daß für solchen Kamps unmittelbar wirkende Maßregeln nicht vorhanden sind, aber ich bin durchdrungen von der Überzeugung, daß unser fester Wille eine große Kraft besitzt, die vieles erreichen und bessern kann. Ich sehe ganz bewußt davon ab, hier einzelne literarische und künstlerische Erscheinungen namhaft zu machen, weil ich nicht gegen gewisse Verleger in ihrer Eigen schaft als mittelbare Urheber, sondern sachlich gegen die von ihnen auf den Markt gebrachten angeblichen »Kunst werke- mich wenden will. Was zunächst der Begriff und die Bedeutung des wahren Kunstwerkes angeht, so entscheidet dabei nach meiner Auffassung einmal der Gegenstand oder die äußere Form — und sodann der innere Gehalt. Beide müssen von künst lerischem Geist getragen sein. Wo solcher Geist nicht arbeitet, ist die Kunst, nach dem schönen Wort Michelangelos, nicht edel und fromm. Unsere heutige Kunst bewegt sich — zum Teil wenigstens — in ganz anderen Bahnen. Um das zu erkennen, braucht man nur unsere Kunstausstellungen zu durchwandern und die Erzeugnisse unserer modernen Schönen Literatur aufmerksam zu prüfen. Was dabei zutage tritt, und zwar in breiter Maffenhastigkeit, hat nach meinem Dafürhalten mit wahrer Kunst, die des Menschen Herz er stellen und erheben soll, nicht das Mindeste zu schaffen. Als ich im Jahre 1878 das Glück hatte, die Kunstschätze Italiens an Ort und Stelle zu genießen, habe ich in Florenz und Rom in den Meistergebilden des Altertums und der Renaissance die Schönheit des weiblichen Körpers auch in Gegenwart von Damen ganz unbefangen als Offenbarung einer reinen Kunst auf mich wirken lassen können, während mir die Nacktheiten, vor allem aber die Halbnacktheiten unserer heutigen Kunst schon oft die Schamröte ins Gesicht getrieben haben. Daraus dürfte erhellen, daß nicht das Nackte an sich anstößig ist. wohl aber, daß dieses an stößig sein kann, wenn es mit der Absicht, lüsterne Em pfindungen zu erregen, unter dem Deckmantel der Kunst auftritt. Ich möchte nun die Frage aufwerfen, ob eine Kunst, wenn sie in ersichtlicher Verkennung von höheren und höchsten Aufgaben ausgeübt und durch frivolen Erwerbssinn verbreitet wird (Reproduktionen), unser Urteil bereits so verwirrt hat, daß uns der Begriff von wahrer künstlerischer Schönheit und Reinheit abhanden gekommen ist? Ich möchte weiter fragen: Hat die in unserer modernen Zeit sich breit machende schrankenlose Rücksichtslosigkeit, wie sie fast auf allen Gebieten künstlerischen Schaffens vielfach in einer ge radezu brutalen Selbstüberhebung auftritt. wirklich das Recht, rütteln zu dürfen an den jahrtausendealten Überlieferungen und Gesetzen, die seither der Menschheit zum Heil gedient haben!? Wir hören da wohl, die alten Ideale haben sich überlebt, die Menschheit bedarf neuer Anregungen! Selbst unser großer Schiller ist nicht verschont worden. Man hat sich nicht gescheut, Schillers Dichtung als »veraltet« hinzustellen, man hat sogar behauptet, daß seine von höchster Kunst getragene Sprache weiter nichts sei als hohler Pathos! Die Verkünder der »neuen Ideale« sollten nur eine der vielen Aufführungen Schillerscher Dramen, die heute überall zu billigen Preisen veranstaltet werden, besuchen —, sie können sich da über zeugen. daß Friedrich Schiller auch heute noch im Herzen unseres deutschen Volkes lebendig ist. Daß mit dem Fort schreiten unserer Kultur, unseres gesamten Geisteslebens, unserer Sprache, auch die Kunst nicht stehen bleiben darf, sondern nach neuen Ausdrucksmitteln naturgemäß suchen muß, darf nicht in Abrede gestellt werden, aber der Kunst und Schönheit uralte Gesetze werden dadurch nicht auf gehoben.
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