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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 30.03.1899
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- 30.03.1899
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- Deutsch
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74, 30. März 1899. Nichtamtlicher Teil. 2433 beständigkeit seines Willens, sein rein stoffliches Interesse (S. 32). Heißt es dann trotzdem S. 85: »Die Kinder sollen die Aussicht genießen, da hilft kein Sträuben und Aus reden, sie müssen auf den Berg«; wird verlangt, daß das Kind in ernster Arbeit zum Kunstgenuß sich Hindurchringe (Beiträge S. 5): so bietet sich hier Anlaß zu einem energischen Protest gegen unberechtigte Zumutungen an den kindlichen Geist. Denn jene Zwangsästhetik, wie sie der Prüfungs ausschuß will, gefährdet das eigentlich Kindliche im Kinde, das sich gern über das Schöne freut, dem es aber von Natur fern liegt, über das Wesen des Schönen zu grübeln. Reflexionen über den Grund des Wohlbehagens beim Genuß eines Kunstwerks setzen einen Zustand geistiger Reife voraus, wie er, wenn überhaupt, in der Regel erst mit dem Jünglingsalter sich einzustellen beginnt. Für die Volksschule, auch auf deren Oberstufe, sollten sie demnach ohne weiteres in Wegfall kommen. Auch zu geistiger Frühreife künstlich reizen ist Frevel. Was Lottig-Hamburg in der Jugend- schriften-Warte Oktober 1898 »zur Einführung des Experi ments in die Beurteilung der Jugendschrift« mitteilt, kann nüchterne Beurteiler nur zu energischer Bekämpfung solcher Versuche veranlassen. Ist es nicht geradezu Unfug, aus un reifen Kindern ein Urteil über Nathan den Weisen, Julius Cäsar oder den Kaufmann von Venedig herauszupressen?! Abgesehen von anderen Schäden steht sicherlich zu befürchten, daß durch solches verfrühte Kritisieren sich eine Oberflächlich keit des Urteils bilde, die späterem Kunstgenuß eher hemmend als fördernd gegenübersteht.*) Man bedenke wohl, der Prüfungsausschuß stellt seine Forderung der Erziehung zu künstlerischer Genußfähigkeit nicht etwa als das Endziel einer höheren Bildung, oder auch nur der Fortbildungsschule auf, sondern als etwas in der Volksschule bei 12—14jährigen Kindern Erreichbares. Einen Unterschied zwischen der Aufnahmefähigkeit bei Kindern aus gebildeten und aus ungebildeten Familien erkennt er von seinem Standpunkt der allgemeinen Volksschule aus prinzipiell nicht an. Was aber vom Prüfungsausschuß erstrebt wird, ist in dem vorausgesetzten Alter weder bei den einen noch bei den anderen erreichbar, weil die Forderung allem Kind lichen im Kinde direkt widerspricht. Das von dem Ham burger Prüfungsausschuß fast zu Tode gerittene Wort Storms: »Wenn du für die Jugend schreiben willst, so darfst du nicht für die Jugend schreiben«, hat seine Berechtigung nur in dem Sinne der Rückert'schen Verse: Mit Kindern brauchst du nicht dich kindisch zu geberden; Wie sollen sie, wenn du ein Kind bist, Männer werden? Rückert hat für die Kinder nicht die »Makamen des Hariri«, sondern die Geschichten »vom Bäumlein, das andere Blätter gewollt« oder »vom Büblein, das überall hat mitgenommen sein wollen« bestimmt; und als Storm für die »deutsche Jugend« seine Novelle »Pole Poppenspäler« schrieb, paßte er sich doch auch durch die Wahl des Stoffes bewußt dem kind lichen Verständnis an. Fast noch gefährlicher als diese Ueberspanntheit der Forderung scheint uns aber ihre Einseitigkeit zu sein. Der rein ästhetische Gesichtspunkt tritt in der Beurteilung der er zählenden Jugendliteratur auf die unduldsamste Weise in den Vordergrund. Zeigt eine Schrift erzählenden Inhalts sich von irgend einer besonderen Absicht geleitet, nicht ledig lich aus künstlerischer Intuition erstanden: gleich wird ihr das Urteil als Tendenzschrift gesprochen, und damit ist sie für den Hamburger Prüfungsausschuß abgethan. Es wurde bereits oben rückhaltlos zugegeben, daß eine aufdringliche Tendenz, die dem gesunden Realismus *) Vgl. übrigens auch die Bemerkungen zu Lottigs Artikel von Möhn-Mülheim a. R. in der Jugendschriften-Warte De zember 1898. Srchrundskchjtgslel Jahrgang des kindlichen Empfindens widerspricht, gewiß zu ver werfen sei. Aber der Hamburger Prüfungsausschuß schießt weit über das Ziel hinaus. Wo bleiben vor seiner Kritik die Fabeln und Parabeln? Wenn jede belehrende Tendenz mit dem Charakter eines dichterischen Kunstwerks unvereinbar ist, so sind jene Dichtungsarten, weil es Tendenzdichtungen sind, keine Kunstwerke und also zu verwerfen. Freilich finde» sich trotz alledem im Bücherverzeichnis die Herrschen Fabeln aufgeführt. Hier widerspricht das Verzeichnis der Theorie; aber das kommt häufiger vor. Man könnte darum geneigt sein, die unbedingt verneinende Position des Prüfungs ausschusses der Tendenz-Dichtung gegenüber für einen Ueber- eifer zu halten, der sich in der Praxis von selbst korrigieren werde, wenn diese Position nicht in so besonders schroffer Weise den Schriften religiöser und patriotischer, genauer: national-deutscher Richtung gegenüber zu Tage träte. Der Hamburger Prüfungsausschuß bezeichnet sonst wiederholt mit Zola als Kunstwerk »ein Stück Natur, durch ein Tempera ment gesehen«, — warum soll denn das religiöse oder das deutsch-patriotische Temperament hier ausgenommen sein? Recht bezeichnend in dieser Hinsicht ist die inkonsequente Stellung, die der Hamburger Prüfungsausschuß einem Buche wie Edmondo de Amicis' »Herz« gegenüber einnimmt. Wenn irgendwo patriotische Tendenz deutlich ist, so hier, — und - doch empfiehlt es der Prüfungsausschuß »auf das wärmste«.*) Freilich, die Begeisterung gilt hier nicht dem eigenen Vaterlande, sondern dem fremden Lande Italien! Die kalt feindselige Haltung gegenüber aller religiösen und national-deutschen Tendenz ruft die peinliche Besorgnis wach, daß sich hinter dem vorgewandteu ästhetischen Interesse eine religions- und vaterlandsfeindliche Tendenz verbirgt. — Ausdrücklich wird der charakterbildende Wert der Lebens beschreibung anerkannt (Wolgast S- 18). Wie kläglich nimmt sich nun aber das aus, was im Verzeichnis unter der Rubrik »Biographie« geboten wird! Wo sind die alten deutschen Kaiser, wo Luther, Melanchthon, Bugenhagen? Gustav Adolph, der große Kurfürst, Friedrich der Große, Königin Luise, die Helden der Befreiungskriege, Wilhelm I., Moltke, Bismarck: sie alle fehlen! Und doch giebt's von ihnen allen ebenso faßliche wie gute Charakterzeichnungen! Wie soll man sich das anders erklären als aus prinzipieller Abneigung gegen, national-deutsche Begeisterung? Wir stehen hier vor einem ähnlichen Kosmopolitismus, wie er einst in Deutschland verbreitet war und die nationale Entwickelung so unheilvoll aufgehalten hat. Gewiß bestehen in unserm geeinten deutschen Vater lande manche Mißstände, an deren Abänderung unsere Jugend einmal ernst wird arbeiten müssen. Aber woher soll sie dazu die Liebe und Begeisterung nehmen, ohne die sie in solcher Arbeit sicher erlahmen würde, wenn man ihr jetzt schon lauter Schattenseiten aufweisen will? Es ist fast unglaublich, wie man der Empfindungen der eigenen Jugendzeit so schnell vergessen kann, wie es die Herren von dem Hamburger Prüfungsausschuß gethan haben müssen, wenn sie statt begeisternder Erzählungen aus der Heldenzeit der Befreiungskriege Schlachtenschilderungen in Zolas Manier den Schülern vorzulegen wünschen. Wenn schon wirklich die Knaben von heute nicht mehr ganz in das Feuer geraten sollten, das uns einst beseelte, so liegt es an der kühleren und zurückhaltenderen Darstellung der Eltern und Lehrer eher als daran, daß eine natürliche Kritik in den Kindern so viel Heldenhaftigkeit auf einmal anzweifeln sollte. Bezüglich der bei der Auswahl der Jugeudschriften durch den Prüfungsausschuß herrschenden Richtung dürfte ohne weiteres überzeugend ein Blick auf das zu Weihnachten *) Vgl. Beiträge S. 46 Anm., Verzeichnis 1897, 1898. 325
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