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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 26.09.1870
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- 26.09.1870
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- Deutsch
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der Bildung wie des Talents überragen sie wohl nicht selten ihre Autoren, denen sie in den meisten Fällen wenigstens die „Idee" an geben, deren Arbeiten von den gröbsten Sünden gegen Grammatik und Orthographie zu reinigen sie sich gar oft gemüßigt sehen. That- sache ist's, daß Hunderte und Tausende von Colportage-Romanen anonym oder unter einem Pseudonym erscheinen, daß ihre Verfasser rühmlos und unbekannt zum Orkus hinabsteigen. Thatsache ist's aber auch, daß eine Legion von Individuen eristirt, die entweder, unbeschadet ihres sonstigen bürgerlichen Berufs, das Schreiben von Colportage-Romanen als Nebenbeschäftigung treiben oder daraus ein eigenes, ausschließliches Handwerk machen. Wie es in der Schriftstellerwelt überhaupt unendlich viele Grade und Abstufungen gibt, so vereinigt auch dieser Kreisausschnitt von Colportage-Dichtern hinstchts ihres Wissens und Könnens, hinsichts ihres literarischen Renommäes und der Stellung, welche sie in der Gesellschaft einnchmen, die verschiedenartigsten und heterogensten Elemente. Man findet darunter Leute von wirklich wissenschaftlicher Bildung, Männer im Amt, mit Titel und Würden, Literaten, die sich eines behaglichen Auskommens erfreuen; andererseits aber auch ganz ungeschulte Naturalisten, Autodidakten im verwegensten Sinne des Worts, in Betreff ihrer Lebensweise, ihrer Vergangenheit und Zukunft im höchsten Grade fragwürdige, oft etwas unheimliche oder gar völlig dunkle Existenzen. Dennoch haben in der Regel alle, diese wie jene, Eins miteinander gemein, und dieses Eine ist für ihre Beschäftigung, wo nicht bedingt und nothwendig, so doch sehr erwünscht und ersprießlich: fast alle haben ein mehr oder min der bewegtes schicksalreiches Leben hinter sich, das Leben hat sie viel umhergeworfcn und sic dabei einen Schatz von Erfahrungen aller Art sammeln lassen. Es gibt unter ihnen z. B. viele gediente Soldaten und aufgelöste Fremdenlegionärc, und zwar Gemeine wie Corporate und Officiere, frühere Kansleute und Seeleute, Schau spieler und Künstler, Kellner und Handwerker, pensionirte oder aus verschiedenen Gründen Wider ihren Willen entlassene Beamte, ver dorbene Studenten und Gelehrte und überhaupt viele verkommene Subjecte aus allen Schichten der Gesellschaft. Jndeß keine Regel ohne Ausnahme! Es gibt unter den Colportage-Dichtern auch ganz solide, sogar stockspießbürgerliche Leute, die Zeit ihres Lebens nur Weiß- oder Braunbier getrunken haben und dazu stets eine lange Pfeife rauchen; es gibt unter ihnen, wie gesagt, Männer, die treulich ihr Aemtchen verwalten, ruhig ihrem Handwerk oder Ge schäft nachgehen, und nur in ihren Mußestunden, sei es aus innerm Drang, sei es um des lieben Verdienstes willen, zur Feder greifen. Beispielsweise ist der beliebteste Colportage-Schriftsteller Berlins, den der dankbare Verleger wie seinen Augapfel hütet, gegenwärtig ein Commis, der den Tag über hinter dem Ladentisch steht und erst in stiller Nacht seine Romane schreibt. Selbstverständlich richtet sich die Honorirung des Colportage- Dichters keineswegs nach seiner Vorbildung oder sonstigen Lebens stellung, sondern einzig und allein nach dem Erfolg, den seine Werke finden, nach seinem literarischen Renommäe. Denn auch auf diesem Gebiet gibt es schlechte, mäßige und glänzende Erfolge; auch dem Colportage-Dichter Winken Gold und Ruhm! Das Gros dieser Autoren wird allerdings nicht besonders bezahlt; in früheren Jahren betrug das Durchschnittshonorar für einen Doppelbogen in groß Octav etwa fünf Thaler. Jndeß selbst bei diesem Satze lebte mancher ganz gemächlich, insofern es Leute geben soll, die Tag für Tag einen solchen halben Doppelbogen zusammenschreiben. Wer nicht so rasch zu producircn vermag, ist natürlich schlimmer daran; er muß, wenn nicht, wie seiner Zeit Alexander Dumas, mit Gesellen und Burschen, so doch mit Weib und Kindern arbeiten. Und Fälle dieser Art sollen dann und wann Vorkommen. Der Verfasser dieses Artikels traf einen Berliner Kolportage-Schriftsteller, wie er seinen neuesten Roman dem etwa sechzehnjährigen Sohne in die Feder dictirte; und der Vater versicherte uns ganz ernsthaft, wie dies zu gleich eine Schule für den Knaben sei, welcher bei ihm „die Schrift- stellerci erlerne". Es werden aber auch weit höhere Honorare gezahlt, häufig höhere, als sie selbst viele unserer besseren Romanschriftsteller erhal ten; und andererseits ist nicht zu leugnen, daß sich auch unter den Colportage-Dichtern manches wirkliche Talent findet, Werth einer besseren Sache. Einige haben sich auch in eine höhere Sphäre hinaufgearbeitet; die meisten aber ziehen es vor, zu bleiben was sie sind, denn sie mögen den sichern Erwerb nicht aufs Spiel setzen. Etliche können mit Recht behaupten, daß sie Ruf und Ruhm ge wonnen haben; selbst die große Masse der Leser, die sonst nie fragt und nie zu sagen weiß, wie der Verfasser heißt, selbst die große Masse des Publicums ist auf gewisse Autornamen aufmerksam geworden und auf ihre Werke begierig. Unter den Verlegern aber haben solche Namen selbstverständlich einen guten Klang und sie werden entweder von ihnen zu gewinnen gesucht, oder — wie das auch in weiteren Kreisen bekannte Beispiel mit Retcliffe l., II. und III. zeigt — verschiedentlich nachgeahmt. Mehrere Colportage-Romane haben verschiedene Auflagen erlebt, sind in 20 bis 100,000 Exemplaren abgesetzt worden. Kein Wunder, daß fürsorgende speculative Ver leger renommirte beliebte Autoren ein für allemal kaufen. Diese dürfen dann für keinen andern Verleger mehr schreiben, müssen ihrem Herrn alljährlich zwei oder drei Romane, jeden drei bis vier Bände stark, liefern, und erhalten dafür einen festen Jahrgchalt, der in einzelnen Fällen die Summe von 1500 bis 2000 Thaler er reichen soll. Ziehen wir zum Schluß eine Parallele zwischen der Colportage- Romanliteratur und der bessern Belletristik, so springt das Miß- verhältniß in die Augen. Während, abgesehen von wenigen bevor zugten Namen, die Romane unserer Dichter der Regel nach nur in 700 bis 1000 Exemplaren abgezogen werden, das heißt also in einer Auflage, die ziemlich genau der Zahl der größeren Leihbibliotheken in Deutschland entspricht; und während diese für das gebildete Publicum geschriebenen Romane nur selten eine zweite Auflage er leben: — wird jeder Colportage-Roman mindestens in 5000 bis 10,000 Exemplaren gedruckt, erscheinen viele Werke dieser Art in noch weit größerer Auflage, oder sie werden gar stereotypirt und verschiedene Male rasch hintereinander aufgelegt. — Und woher solch schreiendes Mißverhältniß? Ganz einfach! Unser sogenanntes gebildetes Publicum kauft überhaupt nicht Bücher, am wenigsten Romane; es ist in den Leihbibliotheken abonnirt oder es hält dieses oder jenes illustrirte Journal. Die Colportage-Romane dagegen finden fast ebensoviel Käufer als Leser, und sie zählen ihre Leser nicht nach Hunderten und Tausenden, sondern nach Zehntausenden und Hunderttausenden; nicht nur unter Dienstmädchen und Sol daten, Kutschern und Bedienten, Gesellen und Arbeitern, Bauern und Tagelöhnern: sondern auch unter dem besser sttuirten und höher gebildeten Mittelstände, das heißt unter Commis, Handwerkern, Geschäftsleuten, Subalternbeamten, kleinen Rentiers rc. Auch in diesen Kreisen vertritt der Colportage-Roman in der Regel die ganze Literatur; er wird von jedem Mitglied der Familie eifrig gelesen, man läßt ihn sauber einbinden, und so bildet er neben der Bibel und dem Gesangbuch die Hausbibliöthek. Das einfachste Dienst mädchen gibt oft für Bücher mehr aus als ihre Herrschaft, der unterste Fabrikarbeiter mehr als sein Chef; denn diese armen Leute kaufen nicht selten in jedem Jahre zwei bis drei Colportage-Romane, von denen ihnen das Stück exclusive der „Prämien" zwei bis drei Thaler kostet, so daß sich in ihrem Etat die Ausgabe für Literatur jährlich auf sechs bis neun Thaler beziffert. Die Moral von der Geschichte liegt auf der Hand; sie eristirt 436*
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