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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 09.03.1914
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1914-03-09
- Erscheinungsdatum
- 09.03.1914
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- Deutsch
- Sammlungen
- Saxonica
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2096 vvrsenbl«!! f d. DIschn. vuchhanbu. Fertige Bücher. 56, 9. März 1914. Es ging ein Säemann. Von N Freiherrn von Schlicht. Vor mir lag ein erschreckender Hausen von Korrekturen, zum Überfluß mit dem dreimal unterstrichenen Vermerk „Eilt sehr!", und diese Worte waren wohl in erster Linie daran schuld, daß die Druck- bogen schon seit drei Tagen unerledigt dalagen. Vom Militär her kenne ich bas „Eilt sehr!". Da eilt alles, und das Unbedeutendste eilt schon deshalb am meisten, weil man sonst die Bagatelle in zwischen wieder vergißt. Heute aber wirklich wollte ich Ernst mache» mit der Arbeit und hatte die Parole ausgegeben: Jeder, der mich stört, ist ein Kind des Todes! Das hals. Wer sein Leben liebte, verhielt sich ruhig und überließ mich dem unbeschreiblich entsetzlichen Genuß der Korrekturbogen. Da Plötzlich an der Etageniiir ein lautes Klingel». Gleich darauf ein noch lauteres Gespräch auf dem Korridor. Dann öffnete mein Freund, der Rittmeister, dle Zimmertür, und hinter ihm erschien meine „elegant möblierte" Witwe, bet der ich vorübergehend meinen Arbeits tisch aufgeschlagen habe. „Ich kann's nicht ändern, Herr Baron — wenn man nicht auf mich hört — ich habe keine Schuld, baß der Herr Baron nun doch gestört werden." „So störe ich also wirklich?" Und mir die Hand reichend, ließ sich der Rittmeister a. D. in den Lehnstuhl fallen und sah sich suchend um: „Haben Sie nicht noch von den Zigarre», die Sie neulich aus Hamburg mitbrachten — ich meine, die ganz großen?" Ich erschrak: „Die wollen Sic doch nicht etwa hier zu Ende rauchen? Ich habe wirklich rasend zu tun." Er ließ sich nicht beirren: „Wer hat das nicht? Kein Gelb und zu viel Arbeit — — bas ist sa nun einmal das allgemeine Keld- geschrei. Selbst die Leute, die nur Kupons schneiden, reden nichts anderes." Er zündete sich die Zigarre an, die ich ihm anbot, und griff bann in die rechte Scttentasche seines weiten Jacketts: „Hier habe ich Ihnen was mitgebracht —nur deshalb komme ich zu Ihnen.« Und vor mich hi» legte er ein Buch: „Es ging ein Säemann", Roman von Bernhard Hoest — las ich. „Wer ist Bernhard Hoest?') Kenne ich nicht." „Ich auch nicht, und das will viel sagen. Tenn wenn das .Lite rarische Echo' alljährlich eine Umfrage erlassen würde, wer der eifrigste Leser in der Leihbibliothek ist, dann würde ich an erster Stelle genannt werden. Was soll man machen, wenn man als a. D. nichts mehr zu tun hat? Ter eine schreibt Bücher — der andere liest sie -." „Und der dritte kauft sie!" Er klemmte sein Monokel ein und sah mich geringschätzig an: „Tichterwahnsinn," meinte er gelassen. Dann nahm er den Roman wieder zur Hand. „Den werben Sie lesen, und dann setzen Sie sich hi» und schreiben Sic eine Kritik, das ist, mit Respekt zu sagen, Ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit." „Aber ich bin doch kein Kritiker Kritiken sind nicht meine Sache." „Tann schreiben Sie eine Militärhumoreskc über das Buch ach so, bas geht nicht ". Einen Augenblick dachte er »ach, dann meinte er: „Was Sic schreiben ist Ihre Sache, dafür sind Sie Schrift steller. Ich kann nicht mehr tun, als Ihnen die nötige geistige An regung zu geben. Die haben Sie hier. Lesen Sie das Buch in Ihrer Eigenschaft als sogenannter gebildeter Mensch und als Vater — denn an Ihre» Sohn müssen Sie bei de», Roman denken! Eins will ich Ihnen sagen: wenn ich das Buch vor zehn Jahren gelesen hätte, als meine Jungens noch so jung waren wie der Ihrige, dann hätte ich meine beiden Bengels anders erzogen und nicht ins Gymnasium geschickt. Ich hätte mtr einen Hauslehrer gesucht, wie cs in dem Roman der Richard Kalck ist, der die jungen Seelen und Gemüter nicht nach Schema k dressiert, sondern der nach der Individualität seiner Zöglinge forscht und erst, wenn er diese kennt, sich an die Wissen schaften macht." ») „Es ging ein Säemann", Roman von Bernhard Hoest. Verlag Heinrich Minden, Dresden und Leipzig. Preis gehestet 4 Mark, in Leinenbanb 5.LV Mark. „In der Theorie ist das gewiß sehr schön — aber ln der Praxis —" Er schlug mit der Faust aus den Tisch. „Ach so — Pardon — ich glaubte, ich wäre zu Hause. Was Sie da sageu, ist doch Unsinn. Soll denn immer alles so bleiben, wie cs ist? Nur weil es so ist? Sollen denn die Art zu lehren und der Lehrstoff immer dieselben bleiben?" Er schlug bas Buch auf und las mir die Stelle vor, die in kurzer, charakteristischer Weise den Unterschied zwischen dem Einst und Jetzt kennzeichnet: „Der wahre Btldungswcg geht über Hellas und Rom,Herr Kan- didat — so war es stets, und so wirb es bleiben. Tüchtige Griechen und Lateiner sind immer die Träger der wahren Bildung gewesen. Alles andere dient nur dem Tagesinteresse und hat auch nur einen Tageswert. Die Alten allein geben uns in der Flucht der Zeit den ruhenden Punkt. Sie schaffen Idealisten und mit und in diesen Werte der Ewigkeit. Sorge» Sie nur für tüchtige Griechen und Lateiner, Herr Kandidat". Aber der widersprach: „Will's Gott, so will ich tüchtige deutsche Männer erziehen, Herr Professor. Wer im Altertum lebt und webt, ist der Gegenwart entrückt. Das klassische Studium sollte mehr ein Mittel zum Kunstgenuß, nicht ein Selbstzweck sein. Dazu sind die Lehrbücher für die Jugend oft nur die engen Zellen in dem großen Gefängnis des Studiums, und ringsum bleibt die Natur, das herr lichste und weit ausgeschlagene Buch des Schöpfers, säst verschlossen und versiegelt." Der Rittmeister klappte bas Buch wieder zu: „Sehen Sie, das ist ganz meine Ansicht. Was der Mann da sagt, hat Hand und Fuß. Und wissen Sie, wie dieser Erzieher die Jugend Geschichte und Erb- künde lehrt? Draußen in der freien Natur!" „Nicht möglich?" fragte ich erstaunt, und unwillkürlich dachte ich mit Schrecken zurück a» meine Geschichts- und Naturgeschichtsstunden. Wie oft hatte ich die verwünscht, wie oft hatte ich mit dem Nohrstock zehn in die Hände bekommen — für jeden Finger nur einen, wie der Lehrer tröstend meinte, wenn ich die Geschichtszahlen nicht wußte und bei den verschiedenen Blumen die Anzahl der Staubgefäße nicht kanntel Und als ich endlich das Examen bestand, wußte ich von dem großen Zusammenhang der Geschichte dennoch so gut wie nichts und konnte im Wald kaum eine Buche von der Eiche unterscheiden! „Ja, denken Sic mal," fuhr der Rittmeister fort, „der geht mit seinen Jungens hinaus in den Wald) bei den Ruinen, bei Hünen gräbern, auf Feldern und Ackern, auf blühenden Wiesen erteilt er seinen Unterricht. Tagelang bummelt er mit ihnen draußen in der Natur herum. Er weiß durch seine Erzählungen das Interesse der Knabe» zu erwecken »nd zu fesseln und dann ihren Wissensdurst zu stillen. Das ist ein Lehrer, wie wir sie heute brauchen, damit unsere Kinder für die Gegenwart erzogen werden. An einer Stelle des Buches heißt cs dem Sinne »ach: „Die Zukunst fordert Männer, die anders denken und handeln müssen als unsere Väter. Eine neue Zeit stellt neue Aufgaben, und ich möchte nicht das Werkzeug werden, das Geister in die Zwangs jacke der Vergangenheit steckt, möchte auch nicht mein dinge vor den bahnbrechenden Forderungen der Gegenwart verschließen." „Und Sie müssen selbst lesen, wie Richard Falck dem alten Grund satz gegenübertritt: dle Bosheit liegt bei jedem Kind aus der Lauer. Es kommt nur darauf an, sie am Ausbruch zu hindern, und dazu ist selbst gegen den kleinsten Fehltritt Strenge notwendig. Stundenlang könnte ich Ihnen aus dem Buche vorlcsen, aber noch viel besser: Sie lesen cs selbst. Wann wollen Sie cs tun?" „Sobald ich kann," gelobte ich. „Schön, also noch heute." Endlich ging er, und ich nahm die Korrekturen zur Hand. Aber vor mir lag auch der Roman. Und als aus Mittag Mitternacht ge worben war, da lagen die sehr eiligen Korrekturen noch immer un erledigt — ich hatte den Roman zu Ende gelesen, die Geschichte des jungen Kandidaten Richard Falck, der, bevor er ein Pfarramt antritt, aus dem großen Gut der schönen und stolzen Witwe eine Stellung als Hauslehrer annimmt, um die beiden scheinbar unbändigen Söhne, an deren Wildheit schon die Kunst mancher Erzieher scheiterte, zu Mensche» zu formen. Und ich las, wie cs ihm gelingt, nicht nur bas Herz der beiden Jungen, sondern auch das Herz und die Hand der Mutter für sich zu gewinnen.
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