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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 07.11.1883
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1883-11-07
- Erscheinungsdatum
- 07.11.1883
- Sprache
- Deutsch
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259, 7. November. Nichtamtlicher Th eil. 5029 hinaus hat die künstlerische Phantasie einen weiten Spielraum, ohne daß sie die Dinge auf den Kopf zu stellen oder zu ver zerren brauchte. Für alle Schrift aber bleibt Lesbarkeit die erste unumgäng liche Bedingung. Und nun sucht mau abgeschmackte Verkünste- luugen wieder hervor, welche wir in unserer Jugend in Büchern, die vor zweihundert Jahren gedruckt sind, augestauut und be lacht haben; Anfangsbuchstaben, deren Körper wie Fliegen in einem Spinnennetze stückweis in einem Gewirre von Zügen und Schnörkeln stecken. Und wenn wir mit Mühe die einzelnen Theile der Buchstaben aus dem Netze gelöst und zu einem Bilde zusammengesetzt haben, so erkennen wir wohl in der Regel einen Krüppel von abschreckender Häßlichkeit, doch selten dessen Be deutung anders als durch Rathen. Dergleichen Ungeheuer wurden mit großem Aufwande von Zeit, Mühe und Ungeschmack in den Kauzleistubcn gemalt, welche wir gewohnt sind als die echten Repräsentanten einer in lächerlichem, hohlem Formenwesen ver kommenen Periode zu betrachten, — und bei der Zeit der Perücken, des Cnrialstils, der bombastischen Hofpoesie sollen wir in die Schule gehen? Das wäre der neueste Fortschritt? Das Wunderlichste ist, daß in dieser Alterthümclei eine Por tion Deutschthümelei steckt. Allerdings hat in solchem Perücken stil Deutschland damals die höchste Virtuosität entwickelt, das durch den Glaubenskrieg zerrissene, macht- und hilflose Reich, — wahrlich ein herrliches Vorbild für das neue Reich in seiner Kraft- und Machtfülle! Möglicherweise ist diese Marotte durch die ausgesprochene Abneigung des deutschen Reichskanzlers gegen die sogenannte lateinische Schrift hervorgernfen worden. Der große Mann ist so oft mißverstanden worden, daß uns auch dieses Mißverständ- niß nicht wundern dürfte, ihm, dem entschiedensten Feinde aller Umschweife, aller Redensarten und leeren Formen, Gefallen an den künstlerischen Ausgeburten der „snbmissest ersterbenden" Zeit zuzntrauen. Seine Einwendungen gegen den Gebrauch der la teinischen Buchstaben gehen ja gerade davon ans, daß sie ihm ungewohnt sind und daher beim Lesen mehr Zeit erfordern als der deutsche Druck. Mithin sind seine Bedenken rein Praktischer Natur und vielleicht wäre er am leichtesten zu bekehren, wenn man ihm lauter Bücher in der verzopften Gothik vorlegte. Uebrigens können wir uns auch durch seinen Bannspruch nicht von der Renaissance abwendig machen lassen. Seine Be rechnung des verschiedenen Zeitaufwandes beim Lesen ist ohne Zweifel genau und richtig, und wenn er erklärt, in seinen Jahren und bei seiner Arbeitslast nicht mehr eine neue Gewohnheit an- nehmcn zll wollen, so wird ihm das Recht zu solchem Verhalten zngestanden werden müssen. Aber das bleibt immer eine höchst persönliche Auffassung der Frage. Unsere Generation im Allgemeinen muß sich fort und fort dazu verstehen, alte Gewohnheiten mit neuen zu ver tauschen. Jede Erfindung, welche bestimmt ist, unser Behagen, unser Wohlbefinden, unsere Bequemlichkeit zu fördern, setzt sich doch zuerst in Widerspruch mit Herkömmlichem und Altgewohn tem, mit unserem Behagen und unserer Bequemlichkeit. Jeder Fortschritt im Weltverkehr bahnt sich seinen Weg über Trüm mer alter, durch das Alter liebgewordener Gewohnheiten. Und ein Fortschritt in derselben Richtung, welche alle civilisirten Völker vermocht hat, ihre hunderterlei Maße und Gewichte auf zugeben, sich in den Geldzeichen einander wenigstens zu nähern u. s. w. ist es auch, daß wir Deutschen allmählich zum Gebrauche der abendländischen Schriftzeichen znrückkehren. Kein vernünftiger Mensch hat der Einführung des Decimalsystems deshalb Wider stand geleistet, weil die Franzosen es zuerst consequent durchge führt haben. Und ebensowenig Grund hätten wir, uns den ein heitlichen abendländischen Schriftlichen zu widcrsetzcn, wenn sie eine fremde Erfindung wären. Bekanntlich sind sie cs keineswegs, so wenig wie die ver trackte Fractnrschrift ein spccifisch deutsches Gewächs ist. Unsere Vorfahren haben die erstere, wie ihre gesammte Cnltnr, von den Römern übernommen und sic ist gewiß nicht das schlechteste römische Erbstück. Wer unbefangenen Blickes eine im echten Charakter gehaltene lateinische Schrift vergleichend neben alle anderen gebräuchlichen legt, kann unmöglich darüber in Zweifel bleiben, daß die erstere im höchsten Maße den Anforderungen an Zeichen für die Sprache genügt. Jedes Bnchstabenbild unter scheidet sich bestimmt von den übrigen, jedes Prägt sich aufs leichteste dem Gedächtniß ein, jedes hat von seiner Abstammung her noch etwas von dem monumentalen Charakter bewahrt. Und wie nobel erscheint ein jeder Buchstabe mit seinen kräftigen Balken und Rundungen, im Vergleiche mit dem krausen Maßwerk, den Strichelchen und Pünktchen der semitischen Schriftzeichen! Diesen letzteren die römischen einigermaßen zu nähern, machten sich schreibende Mönche des Mittelalters zur Aufgabe. Die schöne klare runde Schrift, welche uns in alten Codices er freut, wird nach und nach eckig, in die Länge gezogen, »erkünstelt und verzerrt. Und so schrieb man nicht bloß in Deutschland, sondern im ganzen Abendlande, und nicht etwa in der Sprache des betreffenden Landes, sondern lateinisch, in der damaligen Sprache der Wissenschaft und der Kirche. Damals war also das Gothischc auch die lateinische Schrift, und sie blieb es natur gemäß, als man Lettern schnitt und goß, und die Bücher in allen Sprachen wurden mit denselben Lettern gedruckt, bis ita lienische Gelehrte und Buchdrucker sich daran erinnerten, daß es einmal eine viel schönere und zweckmäßigere Schrift gegeben habe. Die von ihnen eingeführte Antiqua war freilich eine Neuerung, welche zunächst nur bei den romanischen Völkern durch drang, und daher schreibt sich die Vorstellung, daß die Antiqua etwas specifisch Romanisches, uns Fremdes, die Gothik aber unsere nationale Schrift sei. Dieses Vorurtheil allein würde indessen kaum verhindert haben, daß auch die Deutschen gleich den Westslaven und den Skandinaviern im Laufe dieses Jahrhunderts dem Beispiel der Italiener, Spanier, Franzosen, Engländer, Niederländer gefolgt wären; — das eigentliche Hinderniß war wohl die Zerrissenheit Deutschlands? Von wem sollte die Initiative ausgehen? Es gab so viele Regierungen in Deutschland, aber keine deutsche Regierung, eine österreichische, preußische, bayerische, sächsische Akademie, aber keine deutsche Akademie; und oft waren bekannt lich die „bundesfreundlichcn" Beziehungen derart, daß der Vor schlag von einer Seite unbesehen von der anderen würde ver worfen worden sein. Autoren und Verleger mußten langsam die Bewegung in Gang bringen, der entgegenzuwirken oder die abzulenkcn wirklich kein Grund vorhanden ist. Hie und da greift man zu der alten Schwabacher Schrift, die nicht recht gothisch und nicht recht Renaissance, halb eckig und halb rund ist, — eine Halbheit, die nichts nützt. Wir wollen und müssen die Antiqua haben, nicht weil sie altcrthümlich, nicht weil sie von der Renaissance aufgebracht worden, sondern weil sie die schönste und zweckmäßigste ist. Und ans diesen Standpunkt sollte man sich bei der Büchcransstattung überhaupt stellen, dann wür den wir nicht so viel Närrisches in derselben erleben. (Blätter für Kunstgewerbe. Wien.)
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