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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 16.01.1893
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- Erscheinungsdatum
- 16.01.1893
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- Deutsch
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322 Nichtamtlicher Teil. t2, 16. Januar 1893. Hiernach soll schon derjenige den verschärften Strafen aus tz 184 in Zukunft unterworfen sein, welcher unzüchtige Schriften u. s. w. »seilhält« oder »zum Zweck der Verbreitung im Besitz hat«. Die Motive rechtfertigen diese Erweiterung da mit, daß der Zeitpunkt, in welchem nach dem bisherigen Recht strafrechtlich eingeschritte» werden konnte, nämlich wenn eine Ver breitung bereits erfolgt ist, nicht richtig bemessen war, weil in ihm die in dem Erzeugnisse enthaltene Schädlichkeit bereits in das Publikum gedrungen ist. Es soll deshalb ein Eingreifen schon in einem früheren Zeitpunkt ermöglicht werden, um die Verbreitung hindern zu können. Nach dem Wortlaut des Gesetzes und dieser Motivierung würde der Buchhändler also schon dann der Gefahr unter liegen, aus § 184 zur Rechenschaft gezogen zu werden, sobald er ein etwas bedenkliches Buch in seinem Laden hat, mag er sich auch selbst noch nicht darüber schlüssig geworden sein, ob er es dem Publikum zum Verkauf anbieten soll oder nicht. Es kommt hinzu, daß zwar dem Buchhändler nach dem Gesetz der Beweis geführt werden muß, er habe das Bewußtsein von der Unzüch tigkeit des Buches gehabt. Allein da dieser Beweis regelmäßig ein Indizienbeweis sein wird, so setzt sich der Buchhändler der fortdauernden Gefahr aus, daß ihm nicht geglaubt wird, wenn er behauptet, er habe von dem Inhalt des Buches Kenntnis genommen, eben deswegen aber beschlossen, das selbe dem Verleger demnächst wieder zuzustellen. Finden sich Schriften beim Buchhändler vor, so wird der Richter vielmehr regelmäßig der Ansicht sein, der Buchhändler habe dieselben zum Zweck der Verbreitung im Besitz gehabt, und alle entgegen stehenden Behauptungen als leere Einwände behandeln. Diese Lage wird verschärft durch die im Buchhandel bestehende Sitte, daß seitens des Verlegers dem Sortiments-Buchhändler ohne dessen Ver langen Bücher zugesendet werden, welche dieser also gar nicht zu kennen braucht. Dieser Zustand ist um so gefährlicher und kann um so eher manchen Buchhändler ins Gefängnis führen, welcher trotz des formellen Rechtsbruchs, dessen er schuldig gesprochen, nicht aufgehört hat, ein höchst ehrenhafter und anständiger Mann zu sein, als gerade in unserer Zeit die Begriffe über den sittlichen oder unsittlichen Charakter einer Schrift außerordentlich auseinander gehen. Man denke nur einmal an die sogenannte realistische Litteratur unserer Tage. Während der eine zahlreiche Erzeugnisse derselben als sittlich durchaus verwerflich brandmarkt, erscheinen sie dem andern geradezu als eine hoch sittliche That, da der betreffende Dichter das Häßliche und Schlechte zwar zum Vor wurf für seine Arbeit wähle, aber nur zu dem reinen Zweck, der Zeit den Spiegel vorzuhalten, von dem Gemeinen nbzuschrecken und so die Menschen zu einer besseren Lebensweise zu führen. Anhängern dieser Richtung erscheinen dagegen oftmals jene graziösen, insbesondere französischen Romane als sittlich ver- urteilenswert, welche das Geschlechtliche in feinerer, verschleierterer, aber um so raffinierterer Weise leise andeuten, während viele andere wieder eben infolge der graziösen, gefälligen und künst lerisch gebildeten Form der Behandlung den Charakter des Un züchtigen in diesem Falle verneinen. Die hier bestehende Diver genz der Ansichten ist besonders drastisch in einem vor zwei Jahren von dem Verein »Freie Bühne« vor dem Landgericht I Berlin geführten Prozesse zu Tage getreten, in welchem es sich um ein nach der angegebenen Richtung hin vielfach umstrittenes Drama des Schriftstellers Gerhard Hauptmann: »Vor Sonnen aufgang« handelte. Endlich sei es auch bei dieser Gelegenheit noch einmal ge stattet, auf das oben erwähnte Binding'sche Gutachten zurück zugreifen. Es handelte sich hier um die Frage, ob Boccaccio's Dckameron als unzüchtige Schi ist zu betrachten sei. Binding kam zur Verneinung dieser Frage, da auch in den anstößigen Novellen eine diskrete Art des Erzählens auffällt. Der Ver fasser freut sich daran, so heißt es weiter, auch das Derbste auf feine Art zu sagen. Unter den nicht anstößigen Novellen findet sich eine größere Anzahl von wunderbarer Schönheit, andere von köstlichem Humor. Daß also die Tendenz der Erregung der Sinnlichkeit das Buch durchziehe, kann nicht behauptet werden. Es ist das Buch in vielen Einzelheiten anstößig, aber im ganzen ein unzüchtiges nicht. Diese auf der äußerste» Grenze stehenden Deduktionen zeigen, wie sehr die Beantwortung der Frage, ob ein Schrift werk unzüchtiger Natur ist, von der Person des Beurteilers ab hängt. Wäre in dem in Rede stehenden Falle der Gutachter nicht der hochgebildete und ästhetisch feinsinnige Mann gewesen, welcher er thatsächlich war, so hätte das Spruchkollegium leicht zum entgegengesetzten Resultate kommen können Wenn dem aber so ist, so lassen sich ohne weiteres die Härten und Unbilligkeiten ermessen, welche der Entwurf not wendig zur Folge haben muß. Dem Buchhändler bleibt nur die doppelte Wahl, entweder lediglich solche Bücher feilzuhalten, welche auch vor dem prüdesten Geschmack bestehen können, und damit nicht nur seinen Geschäftsbetrieb, sondern auch die Litteratur schwer zu schädigen, oder aber sich der fortdauernden Gefahr strafrechtlicher Verfolgung auszusetzen. Ganz dieselben Bedenken sprechen auch gegen die weitere Bestimmung des Entwurfs, daß die Strafe ans Z 184 auch auf denjenigen Anwendung finden soll, welcher unzüchtige Schriften u.s.w. »ankündigt oder anpreist«, während nach dem zur Zeit geltenden Recht Ankündigungen und Anpreisungen nur insoweit strafbar sind, als sie selbst ihrem Inhalte nach als unzüchtig anznsehen waren. Welche außerordentliche Beunruhigung diese Vorschrift, sobald sie Gesetz weiden sollte, für den Buchhandel zur Folge haben muß, leuchtet ohne weiteres ein. Jeder Buchhändler, welcher in seinem Katalog ein Buch anzeigt, welches nach der subjektiven Auffassung des Gerichts die höchst schwankenden und unsicheren Merkmale des Unzüchtigen an sich trägt, ist der gesetzlichen Strafe verfallen. Besondere Hindernisse müssen hieraus für den Antiquar erwachsen, dessen Geschäftsbetrieb sich auf kulturhistorische, naturgemäß mit den Anschauungen der heutigen Moral nicht überall in Einklang stehende Schriften erstreckt. Nimmt es ein derartiger Geschäfts mann mit den Gefahren, welche der Entwurf mit sich führt, nicht ganz genau, so kann er leicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Ist er dagegen hinreichend vorsichtig, so kann eine ernstliche Schädigung gerade derjenigen Wissenschaften, welche sich die Förderung der Kultur und deren Geschichte zur Auf gabe gestellt haben, nicht ausbleiben. All' das Gesagte gilt noch in weit erhöhtem Maße von der durch den Entwurf ganz neu ejngeführten Wendung des Ausstcllens oder Anschlagens von Abbildungen oder Darstellungen, »welche, ohne unzüchtig zu sein, durch gröbliche Verletzung des Scham- und Sfttlichkeitsgesühls Aergernis zu erregen geeignet sind». Welche Fälle mit diesen Worten getroffen werden sollen, ist völlig im Dunkeln gelassen. Auch die Motive geben darüber nur einen ganz unvollkommene» Ausschluß. Wir gewinnen aus ihnen lediglich das negative Ergebnis, daß solche Abbildungen u. s. w. gemeint sind, welche das Scham- und Sittlichkeitsgefühl zwar in geschlechtlicher Beziehung nicht verletzen, aber dennoch in anderer Beziehung »geeignet sind, durch Verletzung des Scham- und Sittlichkeitsgefühls Aergernis zu erregen«. Die Motive wiederholen also einfach den Wortlaut des Gesetzes, ohne auch nur einen Ansatz zu einer Definition des in den Entwurf neu aufgenommenen Requisits zu machen. Dieses aber ist ohne eine solche Erklärung absolut unverständlich. Es unterscheidet sich von dem Begriff des Unzüchtigen lediglich dadurch, daß diesem das einzig kon krete Merkmal, die geschlechtliche Beziehung, entzogen ist. Was hiernach noch übrig bleibt, ist von so kautschukartiger Dehnbarkeit, daß die heterogenstenThatbestände darunter subsumiertwerden können. Sollte der Entwurf Gesetz werde», so würden sich die Erfahrungen, welche wir mit dem groben Unfugs-Paragraphen gemacht haben, hier sicherlich wiederholen. Nach dem Wortlaut der vorgeschlagenen
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