Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 16.01.1893
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Erscheinungsdatum
- 16.01.1893
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-18930116
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-189301164
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-18930116
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1893
- Monat1893-01
- Tag1893-01-16
- Monat1893-01
- Jahr1893
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
12, 16. Januar 1893. Nichtamtlicher Teil. 321 und Sittlichkeitsgesühl sagt, was unzüchtig ist oder nicht. Damit aber ist noch in keiner Weise dargethan, daß dieser Begriff sich zum Thatbestandsmerkmal eines Gesetzes eignet und insbesondere eines Strafgesetzes, welches in die wichtigsten Lebensgüter des Bürgers eingreift. Dieses darf dem Richter unter allen Um ständen nur solche Begriffe an die Hand geben, welche keinen Zweifel darüber lassen, daß der seiner Entscheidung unterbreitete Thatbestand unter sie zu subsumieren ist. Eine solche Sicherheit aber ist nur daun vorhanden, wenn das Gesetz sich von jeder Wendung freihält, deren Sinn zwar empfunden, nicht aber scharf bestimmt werden kann. Zwar hat das Reichsgericht versucht, in konstanter Judi katur dem Begriff des Unzüchtigen eine einschränkende Auslegung zu geben, über welche nicht hinausgegangen werden soll. Es verlangt eine Handlung, welche objektiv das Scham- oder Sitt lichkeitsgefühl in geschlechtlicher Beziehung gröblich verletzt und subjektiv aus geschlechtlicher Sinnenlust vorgenommen worden ist. Hieraus wird gefolgert, daß Schriften u. s. w, welche in Wahrheit einem wissenschaftlichen oder künstlerischen Zweck dienen, niemals unzüchtig sind. Allein auch mit diesen Begriffsbestimmungen ist Erhebliches nicht gewonnen. Denn auch die vom Reichsgericht festgestellten Merkmale liefern keine brauchbare und scharfe Definition. Der Begriff der gröblichen Verletzung des Scham- und Sittlichkeits gefühls in geschlechtlicher Beziehung ist ein so unbestimmter und dehnbarer, daß der Richter wiederum gezwungen ist, seine sub jektive Empfindung entscheiden zu lassen. Absolut durchschlagende Gründe, warum der gesetzliche Begriff für den konkreten Straf fall paßt oder nicht paßt, wird der Richter in vielen Fällen nicht anzugebeu vermögen. Die Folge davon ist denn auch eine das allgemeine Rechtsbewußtsein schwer schädigende Rechtsunsicherheit geworden. Es ist allgemein bekannt und bedarf daher keiner näheren Ausführung, daß in zahlreichen Fällen wegen derselben Schrift von der einen Strafkammer eine Verurteilung erfolgt ist, während ein anderes Gericht aus Freisprechung erkannt hat. Ein solcher Zustand hat natur gemäß auch für den anständigen Buchhandel schwere Be unruhigung zur Folge, zumal es den Beteiligten an einem Rechtsmittel gegen die betreffenden Entscheidungen vollständig fehlt. Sobald das Gericht festgestellt hat, daß es eine Schrift u. s. w. als unzüchtig betrachte, weil sie das Scham- und Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlicher Beziehung gröblich ver letze, ist der Revision jeder Boden entzogen. Ob diese Eigen schaft der so definierten Unzüchtigkeit den betreffenden Schriften oder Bildern mit Recht zugeschrieben worden ist, gehört in das Gebiet der tatsächlichen Feststellung, unterliegt daher nicht der Revision. Dies hat auch das Reichsgericht selbst wiederholt an erkannt (vgl. z. B. Entscheidungen in Strafsachen Bd. 8 S. 130). Damit ist die Möglichkeit, zu einer einheitlichen Rechtsprechung zu gelangen, ausgeschlossen. Ebensowenig hat die Wissenschaft vermocht, dem Begriff des Unzüchtigen eine feste Basis zu geben. Unter den in Betracht kommenden Schriften sind vor allem ein Aussatz vom Professor Köhler in Berlin und ein Gutachten des Leipziger Spruch- kolleges, — entworfen von Professor Binding in Leipzig — zu nennen (siehe Zeitschrift für die gesammte Strafrechtswissenschaft Bd. 2 S. 450 ff. und Bd. 7 S. 47 ff.). Beide Gelehrte haben aus der Erwägung, daß der K 184 »bei engherziger, beschränkter, die geschicht lichen, wissenschaftlichen und künstlerischen Bedürfnisse verkennender Wortexegese beunruhigend und störend wirken müsse, dem Ver gehen der Verbreitung unzüchtiger Schriften besondere Aufmerk samkeit zugcwendet, ohne jedoch in der Feststellung des Begriffs der Unzüchtigkeit zu einem befriedigenden Ergebnisse zu gelangen. Wenn Köhler zu dem Resultate kommt, daß, während im Leben »schon die grobe geschlechtliche Jnkonvenanz zur Unsittlichkeit führen kann«, in der Kunst u. s. w. »nur dasjenige unzüchtig -st, was unsittlich ist«, so ist dies keine für die Praxis auch nur Sechzigster Jahrgang. einigermaßen brauchbare Begriffsbestimmung. Bindings Aus- ührungen sind zwar erheblich konkreter, aber auch sie geben dem Richter keinen festen und sicheren Maßstab. Es muß schließlich im Einzelfalle immer das freie richterliche Ermessen maß gebend sein. Der neue Entwurf läßt es bei diesem Zustande bewenden. Auch die Motive machen nicht einmal den Versuch einer ge naueren Abgrenzung des Merkmals der Unzüchtigkeit. Dennoch aber soll die Zahl der Gesichtspunkte, unter welchen jemand wegen des in Rede stehenden Deliktes verfolgt werden kann, in Zukunft eine beträchtliche Vermehrung erfahren, während doch bei der geschilderten Sachlage das umgekehrte Ziel, nämlich zu einer Einschränkung des K 184 zu gelangen, als das viel natur gemäßere erscheinen dürfte. Dieser Standpunkt ist denn auch mit Recht i» der Theorie wiederholt und mit Entschiedenheit vertreten. So bemerkt, um nur ein Beispiel anzuführen — Professor von Liszt in der soeben erschienenen neueste» Auflage seines Lehrbuchs des Strafrechts (S. 392 Note 4): »Da die Grenzlinie sehr schwer zu ziehen ist, bedarf es besonders vorsichtiger Fassung des Gesetzes. Am richtigsten wäre es, nur die aus Gewinnsucht unternommene Behandlung des Geschlechtslebens unter Strafe zu stellen. Bedenklich der Entwurf von 1892.« Die Tendenz des Entwurfs, nicht scharf definierbare» Begriffen ein möglichst weites Anwendungsgebiet einzuräumen, ist um so ge fährlicher, als die Rechtsprechung in unfern Tagen schon ohnehin die Richtung befolgt, die Verbrechensbegriffe über den Wortlaut und die ursprüngliche Absicht des Gesetzgebers hinaus zu erweitern, während doch der im Strafrecht geltende Grundsatz: »Io äubio pro rso« einem derartigen Verfahren entgegen stehen sollte. Einer näheren Begründung dieser Behauptung bedarf es nicht. Es wird genügen, an die außerordentliche Ausdehnung zu erinnern, welche mannigfache strafbare Handlungen, wie der grobe Unfug, die Beleidigung erfahren haben, wie nicht nur die Begriffe dieser Delikte selbst immerfort erweitert worden sind, sondern wie auch in einigen vielfach besprochenen Preßprozessen der jüngsten Zeit dsr Kreis der für die Beleidigung verantwort lich gemachten Personen eine Vermehrung sogar bis zum Ma schinenmeister herab erfahren hat. Mit Leichtigkeit ließe sich noch eine ganze Anzahl Beispiele anführen, welche sämtlich darthun, daß die heute beliebte verschärfte Auffassung der verbrecherischen Tatbestände in vielen Fällen zur Willkür und Schrankenlosigkeit geführt hat, während man bisher mit Recht die strikte Auslegung der Gesetzesworte als einen der Fundamentalsätze des Strafrechts be trachtet hat. Sieht sich doch deshalb einer der hervorragendsten Theore tiker auf dem Gebiete des Strafrechts in seinem Gutachten für den 21. deutschen Juristentag zu der scharfen Anklage veranlaßt, daß durch unsere Rechtsprechung der Grundpfeiler des Strafrechts erschüttert worden ist, welchen A 2 unseres Strafgesetzbuchs in Festhaltung des von den Verfassungsurkuude» bereits ausge prägten Gedankens aufgestellt hat, wonach eine Handlung nur dann bestraft werden kann, wenn diese Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde. (Professor Seuffert.) Der Geist, welcher unsere heutige Rechtsprechung beseelt, macht Vorsicht demnach doppelt geboten und rechtfertigt die Bitte der Unterzeichneten an einen hohen Reichstag, dem vor gelegten Entwürfe seine Zustimmung so lange zu versagen, als nicht durch scharfe Definitionen der in Frage kommenden Begriffe der richterlichen Willkür enge Schranken gezogen worden sind. Nur dann, wenn das Thatbestandsmerkmal der unzüchtigen Schrift u. s. w. so abgegrenzt ist, daß der Paragraph unter allen Umständen lediglich zur Bekämpfung des Vertriebes der wirklich schmutzigen Litteratur dienen kann, ist er imstande, heilsam und wohlthätig zu wirken. Da diese Voraussetzung aber, wie dargelegt wurde, zur Zeit in keiner Weise gegeben ist, muß die neue erweiterte Fassung, welche der Entwurf vorschlägt, notwendig zu einer Beunruhigung und schweren geschäftlichen Schädigung des Buch handels führen. 43
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder