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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 19.03.1883
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- 19.03.1883
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- Deutsch
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Nichtamtlicher Theil. 1231 ^ 64, 19. März. Wie viel Hunderte von Worten müßten danach jetzt durch Einsetzung von besonderen Konsonanten oder Vocalen und zum Theil mehrfach umgeändert werden! Aus jenen drei Prinzipien ergaben sich allmählich die Ortho graphien der Kulturvölker. Bei den Italienern herrscht eine wesentlich phonetische, welche mit dem Lautbestand des 17. Jahr hunderts, nicht ganz mehr mit dem jetzigen stimmt, bei den Eng ländern herrscht das historische, bei den Franzosen ergänzt sich das historische und phonetische Prinzip, bei uns Deutschen ist das phonetische Grundprinzip von dem historisch-grammatischen und dem Deutlichkeitsprinzip mehrfach und in verschiedener Weise ver ändert worden, ohne daß je ein sicherer Abschluß zu Stande gekom men wäre. Jedes Volkes Orthographie hat ihre eigene Geschichte, welche der Entwicklung der Sprache schneller oder langsamer nachfolgt; die jeweilige Orthographie ist eine Art stillschweigender Convention, eine Modesache; nur daß bei uns Deutschen die Mode bisher noch nie eine allgemeine geworden ist. Am besten sind die Franzosen mit ihrer Akademie daran, deren Orthographie, resp. deren Aenderungen in der Orthographie als Norm in Frankreich gelten. Aber als z. B. die Akademie 1835 aus phonetischem Prinzip das ä lautende oi durch ai ersetzte, haben gewiß recht viele ältere Leute die ihnen vertraut gewesene Schreib weise im persönlichen Verkehr noch weiter angewendet. Die Aen derungen übertragen sich nicht sofort ins Volk. Und wir? Wenn man die Originalausgaben der Werke in neuhochdeutscher Sprache, seitdem die letzte Lautverschiebung un gefähr abschloß, also die Werke unserer Schriftsteller von Luther bis G. Freytag verfolgt, so ist die Verschiedenheit der Orthographie nicht nur der verschiedenen Zeiten, sondern der gleichzeitigen Schriftsteller und auch der einzelnen Werke eines Schriftstellers eine geradezu erschreckliche; ihre Buntscheckigkeit entspricht den politischen Verhältnissen unseres Vaterlandes und der Jedem inne wohnenden Lust an Eigenartigkeit. Hr. Jenscn will nun, daß unsere Kinder bei der Schreibweise bleiben, die wir an Goethe, Schiller und Humboldt uns gebildet. Zunächst glaube ich, daß Hr. Jensen seine Orthographie nicht so wohl an diesen Werken gelernt hat, als in der Schule von seinen Lehrern, theils nach der Bibel oder der Fibel und weiteren Schul büchern, theils nach bestimmten Regeln und Dictaten. Unsere eigenen Väter, bez. Großväter haben aber auch gar nicht diejenige Orthographie in ihren Goethe- und Schillerausgaben gesehen, wie wir in den Cotta'schen Ausgaben der letzten 3 bis 4 Jahrzehende. Und wenn zwischen uns und unfern Kindern kein „Durchriß" in der Orthographie stattfinden soll, warum denn zwischen uns und unfern Vätern? Entweder ist unfern Kindern recht, was uns — daß es für sie kein Verbrechen ist anders zu schreiben als ihre Väter, sowenig als für uns anders, als unsere Väter — oder wir wollen gleich mit unseren Kindern auf die Schreibweise unserer Väter zurückgehen. Goethe also ließ z. B. in seiner Iphigenie drucken: „sehn, Freyheit, ehmahls, gebiethen, Nähme, wiederhohlen, ich bath", Jean Paul an der Grenze des Jahrhunderts: „warlich, seelig, anstat, Schiksal, Glük, große, gröste, Gärigen". In den letzten vier Jahrzehenden aber hat sich, wenn auch in vielen Dingen eine Tradition erwuchs, doch noch keine einheitliche Orthographie gebildet. Der Cotta'sche Verlag, dessen Ausgaben Hr. Jensen doch wohl im Auge gehabt hat, druckte 1847 in Platen's Gedichten: „wert, rot, Gerät, Gemüt, Haubt", und in G. Freytag's Ahnen steht 1874: „tot, töten". Das „nationale Gut" also, von dem Hr. Jensen spricht, eine einheitliche Orthographie gab es nicht; wenn es dieselbe gegeben hätte, wäre die bayerisch-preußische gar nicht neu ins Leben getreten. Namentlich im Gebrauch der S-Laute, z. B. des halb und deßhalb, der Dehnungszeichen „e" oder Verdoppelung oder „h", z. B. wider und wieder, gibt und giebt, Heerde und Herde, Heimath und Heimat, Schmidt, Schmit und Schmied, herrschte Uneinigkeit. Einen drückenden Ballast besonders von „h" haben die Gelehrten der vorigen Jahrhunderte in unsere Orthographie gebracht, meist unnöthig, z. B. um die Dehnung des Vocals anzu geben wie in Rath, als ob Jemand sonst Rat mit kurzem a sprechen würde, und in Muth, während Blut ohne „h" blieb. Gegen diesen eingedrungenen Wust traten die Germanisten seit I. Grimm auf und kehrten viel hinaus, brachten es aber selber unter einander nicht zu einer gleichmäßigen Schreibung und drangen theils aus diesem Grunde, theils wegen der bedeutenden Neuerungen, theils wegen Mangel an Verständniß von Seiten des großen Publicums nicht durch. Noch radicaler sind die Phonetiker unter Victor aus getreten, welche eine besondere Zeitschrift für vereinfachte Recht schreibung herausgeben und auch „ire geerten bekanten mit so ge schobenen Krisen beleren". Das Pferd ist den strenghistorischen Germanisten ein „Geschepf" (von schaffen), den Phonetikern ein„fi". Das sind diametral auseinandergehende Richtungen; wieviel aber gab und gibt es Zwischenstufen, die an der in sich selbst schwanken den Tradition hängen? Und wer litt am meisten? Die Erwachsenen schreiben und drucken, wie sie wollen. Aber die Schuljugend! Konnte es doch Vorkommen, daß ein Schüler, was er das eine Jahr als ortho graphisch richtig gelernt hatte, im nächsten Jahre als orthographi schen Fehler angestrichen bekam, nur wegen Wechsel eines Lehrers. Die meisten Anstalten stellten nun wohl für sich jede einen Kanon auf, der aber nicht zu dem einer andern Schule paßte; ich habe an der ersten Anstalt, wo ich unterrichtete, die Schüler marschiren lasten, an der zweiten marschieren, an der dritten sollten sie wieder marschiren, jetzt heißt es allgemein marschieren*). Das Bedürfniß nach einer einheitlichen Orthographie machte sich allgemein geltend und rief verschiedene Vereinigungen und Normen hervor. Die der Druckereien bin ich nicht in der Lage darzustellen; von denen der Schule nenne ich die kgl. hannöverische, die kaiserl. oesterreichische, die vom Verein der Berliner Gymnasial- und Realschullehrer und die Orthographie der deutschen Lesebücher von Hopf und Paulsiek, welche von der Vorschule bis zur Prima gehen und in über zwanzig Auflagen verbreitet sind. Jetzt wurde 1870/1 das Deutsche Reich errungen. Der Wunsch einer einheitlichen deutschen Orthographie, für das Reich wenigstens, wurde allgemeiner und lebhafter denn je, und von Schulbehörden und Lehrern wurde, wie für die allgemeine Einheit so für die Erleichterung der Schüler, dringend nach einer solchen gestrebt. Wer sollte nun die einheitliche Orthographie feststellen und beschließen? Und wie sollte dieselbe eingeführt werden? Die zweite Frage erledigt sich leicht, und zwar gegen Hrn. Jensen's Bemängelung der Schulorthographie. Die älteren Leute gehen nicht leicht von ihrer Orthographie ab; wer will ihnen auch zumuthen, umzulernen? Jeder, wie er will! Eine plötzliche Ortho graphie der Reichsbeamten umfaßt nur einen kleinen Kreis. Aber die Orthographie der Zukunft ist allemal die, welche in der Gegen wart in der Schule gelehrt wird. Also Schulorthographie! Wer sollte aber die einheitliche Orthographie festsetzen und beschließen? Der Reichstag, der Kaiser haben bisher kein Recht dazu. Eine Akademie besitzen wir auch nicht, nach der die Gebil deten sich mehr oder weniger schnell richten würden. Die Regierung der Schule gehört den einzelnen Staaten des Deutsches Reiches. *) Der Consequenz wegen mußte entweder das „e" aus „spazieren" und „Regierung" herausgeworfen oder in alle Worte auf „iren" ein gesetzt werden; die süddeutsche Gewohnheit „ieren" hat gesiegt. 178*
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