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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 26.01.1863
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- Ausgabe
- Erscheinungsdatum
- 26.01.1863
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- Deutsch
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kcn sich voll hingcbe, welche sein Verstand, sein Gefühl ihm als diejenigen aufstclltcn, die er zu fördern, denen er nachzule ben habe. Zu diesen nur in allgemeinen Zügen angedeuteten Gedanken gesellt sich die Frage, welche einmal besonders zu betrachten sein wird: Ist es denn wirklich wahr, daß der Verkauf schlechter Bü cher gewinnbringender ist, als der Verkauf guter Bücher? Ein anderer Gedankengang, den jene Tage mir darbotcn, und der in einem innigen Zusammenhänge zu dem obigen steht, schließt sich hier an. Woran liegt cs, daß Schriftsteller, welche einen vollgültigen Anspruch auf eine bleibende ticfgchcndcWürdigung unseres Vol kes erheben können, nicht die dauernde Verbreitung finde», die ihr Werth bedingt, daß wir nicht selten dieVerbreitung eines sol chen Schriftstellers unterbrochen, sehen, und daß cs häufig eines neuen, meist äußeren Anstoßes bedarf, um ihm sein Recht wiedcr- zugeben? Sie hören nicht auf, eine gewisse Geltung zu haben, sie werden gelobt, cs wird behauptet, daß sie geliebt werden— aber man kauft ihre Werke nicht. Zierliche Ausgaben und bcrcdteVer- käufcr sind wirkungslos, der Goldschnitt wird roth, die hin- und hergcstoßcnen Ecken krümmen sich, unser Kunde sieht z. B. Ale xis, Gotthclf, H. v. Kleist, Stifter und so manche Hichergchö- rcnde in stattlicher Reibe in unseren Fächern stehen, aber mit ei nem kalten Lobe geht er vorüber und wählt minder Werthvolles, und nicht immer deshalb, weil dasselbe neuerenDatums ist. Kör ner z. B. ist auch nicht unser Zeitgenosse und Kleist hat doch wahrlich einen bei weitem größeren Werth, was poetische Gedan ken, Stoffe und Form betrifft, als Körner, dessen Kricgslicder freilich für immer auf den Dank und die Liebe des Volkes wer den rechnen können. Jene vier Männer sind des Beispiels halber genannt, noch manche Namen von gutem Klang lasten sich aber hinzufügcn. Eine Formel, in welcher die Antwort auf jene Frage gegeben wäre, läßt sich nicht finden. Es wirken die verschiedensten Ursa chen: Mangel an Ernst in dcrZeit und im Buchhandel, Zeitpunkt des Auftretens, des Abtretens, Form und Sprache, Stoff, locale Verhältnisse, Behandlungswcise des Verlegers und wohl auch, und nicht zum mindesten der Zufall und — so bitter es zu sagen ist — die Mode, vielmehr die Abneigung derModc, derDruck der Mode, welche Raum für das Neue braucht. Indem ich bei dem Verkehr der letzten Wochen meinen Kun den gegenüber jenen vier Männern das Wort redete, oder vielmehr einfach sagte, daß ihre Werke noch auf dem Markte seien, daß sic nicht vergessen werden dürften, daß ein jeder von ihnen nicht nur ein besonderes literarischcsJnterestc biete, sondern auch ganz und gar seiner Stoffe und Gedanken, seines poetischen und sitt lichen Gehaltes willen sich für die deutschcFamilic eigne, erkannte ich, daß die oben aufgeworfene Frage für einen jeden von ihnen einer besonderen Antwort bedarf, welche zum Theil in den er wähnten Umständen gesucht werden muß. Nur die literarische Le- bcnsgeschichte eines Schriftstellers und seiner Werke und die Be trachtung der Zeit) in welcher sie lebten, im Gegensatz zu dem Heute läßt uns einen Aufschluß gewinnen. Aus jenen Gesprächen ward mir zum Theil der Sitz des Hebels klar; durch einzelne kleine per sönliche Erfolge ward es mir noch klarer, daß der Buchhandel in vielen Fällen Wandel schaffen und zum Recht verhelfen kann, zum mindesten versuchen kann, zum Recht zu verhelfen. Es wird nicht ohne Interesse sein, ein Beispiel für das eben Gesagte näher ins Auge zu fasten; eine kurze literarische Cha- raktcristik sei, soweit sic zur Erläuterung nöthig ist, gestartet. Gotthclf zerlegt das menschliche Herz in alle seine Thcile, wie'durch eine Glastafel schauen wir in das Innere der von ihm geschilderten Menschen, die Entwickelung der Charaktere verfol gen wir schrittweise, wir leben, wir fühlen mit seinen Figuren, und begreifen am Ende seiner Erzählungen, daß alles so kom men mußte, wie es kam. Die Schweiz kannte schon länger seine schweizerischen Schrif ten, als Uli auf dem literarischen Markte Deutschlands erschien. Der glückliche Scharfblick seines deutschen Verlegers hatte in je nen für uns unverständlich geschriebenen Werken ihre große all gemeine Bedeutung erkannt, er bestimmte Gotthclf zu einer Be arbeitung, welche im Wesentlichen eine Verdeutschung sein mußte, und in rascher Folge wurden uns Gotthelf's Schriften geboten. Die Liebe und Bewunderung, welche sie gleich erregten, scheinen jetzt erkalten zu wollen. Gotthelf, ein Schweizer und ganz Schweizer, zergliederte und dagucrreotypirte die Menschen, unter welchen zu wirken sein Beruf war, also Schweizer und zwar Berner Bauern. Seine Schriftstellerei war wohl ein Theil der Seelsorge, welche er dem Bauernstände widmete. Durch die Gleichartigkeit der Stoffe aber, durch die Ausschließlichkeit, mit welcher dieselben in jenem Lande spielten, und durch die scheinbare Ähnlichkeit seiner Figu ren ermüdete er den deutschen Leser und die noch immer rege Be wunderung hält sich jetzt mehr in scheuer Entfernung. Innere und äußere Gründe mögen die starke und rasche Production Gott- hclf's angetricben haben. In Deutschland hat sie eine bcdaucrns- werthe Wirkung gehabt, denn auch von denen seiner Meisterwerke hat sich die Aufmerksamkeit etwas abgewcndct, welche für alle Zeiten einen Werth besitzen. Es gehören diese Werke zugleich zu seinen ersten Arbeiten: Leiden und Freuden, die Uli's, der Ver söhnungstag. Wir müssen, was wir nicht selten zu beklagen haben, auch hier beklagen, daß dem Dichter das Maß der Sclbst- beschränkung fehlte, und daß die zu große Fülle des Gebotenen den Ruhm des Einzelnen und die Liebe für dasselbe minderte. Zu solchen Hemmnissen trat neben der großen Einfachheit der Be gebenheiten in den Erzählungen die zu häufige Beibehaltung des Schweizer Dialekts für uns hinderlich hinzu. Bedarf es doch oft fast eines Wörterbuches und ist doch jedenfalls das Lesen Gotthclf'scher Bücher meist nur dann erfreulich und fruchtbar, wenn cs ein sehr ernstes, besonnenes, fast ein Studium wirdZ Das steht aber unzweifelhaft fest, daß die Kunst, in dem Herzen zu lesen, in geradezu erhabener Wisse von Gotthelf gelehrt wird, daß die Theilnahme des Lesers an einem von Gotthelf vorgeführ ten Charakter zu einer Herzens-Theilnahme sich während des Lesens gestaltet, Und daß für die deutsche Familie aller Stände kaum eine reinere und anregendere Lectüre sich bietet, als Gott- hclf's einzelne Werke. Ganz besonders kann Gotthclf fordern, daß der deutsche Geistliche ihn durch und durch kenne. Neben Gotthclf steht Stifter ergänzend in naher Verwandt schaft. Stifter erfaßt die Natur mit dem Auge des tiefer blicken den Malers, wie wenige weiß er sie zu zeichnen , zu einer jeden Situation, welche er in seinen Studien vorführt, weiß er den Hintergrund in der Natur oder in der Umgebung zu finden, welcher erst recht den geschilderten Vorgang zur Anschauung bringt. Gotthelf zeichnet den Menschen, der in den Alpen wohnt, Stifter die Alpen selbst. Er lehrt ,,die Schätze der Natur heben". Wer Gotthclf aufmerksam gelesen hat, blickt die Menschen mit neuen Augen an; wer Stifter liest, empfängt eine bedeutende Anregung, die Natur, das Landschaftliche in ihr, die Stimmung in einer Gegend, den Wechsel des Lichtes und der Farben zu beobachten, er gewinnt einen Ausdruck für die tiefe Sehnsucht, die uns so oft aus dem Auge der Natur anblickt und die wir so selten ver stehen. Stifter ist reicher, bunter, spannender als Gotthelf, seine Erzählungen behandeln die verschiedensten Zeiten, Länder, Men schen, und doch kann er, was Norddeutschland betrifft, in Gott helf's Klage einstimmcn.
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