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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 29.08.1870
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- Erscheinungsdatum
- 29.08.1870
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- Deutsch
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197, 29. August. 2763 ler. — Noch heute (und zumal unter uns) ist nicht Allen bekannt, daß der Bücherhandel auf die Zeitbildung einen ebenso großen und nachhaltigen Einfluß übt, als die Bücherproduction, und daß dieThätigkeit gewissenhafter und gebildeter Verleger indasLeben einer Nation ebenso tief eingreifen kann, als das Schriftstellerthum. Eingeweihte wissen längst, daß die Kunst, das Lesebedürfniß an zuregen und in der rechten Weise zu nähren, ebenso schwierig und kaum weniger wichtig ist, als dieKunst, dieliterärischeProduction zu wecken und in die richtigen Bahnen zu lenken. Die Lectüre weit aus der meisten Menschen ist vom Zufall, der Bequemlichkeit und von Empfehlungen abhängig; diese Factoren richtig und erfolgreich zu benutzen, vermag Niemand in höherem Grade als der Buchhänd ler, mag er Verleger oder Sortimenter sein. Wesentlich von dem ersteren hängt es ab, ob und wie junge Talente sich Bahn brechen, daß sie an die richtige Stelle gebracht und bekannt gemacht werden. — Die Mehrzahl aller größeren literärischen Unternehmungen der Neuzeit, das Conversationslerikon, die gelehrten Zeitschriften, die Sammelwerke für Theologie, Jurisprudenz, Geschichte und Staatswissenschaften, die Clasfikerausgaben sind von Verlegern, nicht von Schriftstellern begründet worden, und in einer großen An zahl von Fällen läßt sich das Glück, das einzelne literärische Erschei nungen gemacht haben, auf den Credit, das Geschick und die Gunst ihrer Verleger zurückführen. In der Hand des Sortimenters aber liegt es, ob wesentlich an die guten oder an die schlechten Jnstinete des Publicums appellirt wird, und das geistige Bedürfniß und die Geschmacksrichtung manchen Orts ist durch seine Buchhandlungen bestimmt worden. Kaum ein schlagenderer Beleg dafür, daß das geistige Leben und das Bildungsniveau einer Landschaft wesentlich davon abhängen, ob und welche Buchhändler in ihr leben, kann aber angeführt werden, als die Geschichte Johann Friedrich Hartknoch's in Riga und Livland. Dafür, daß der Gehilfe des ehrsamen Hrn. Kanter von Hause aus die ideale Seite seines Berufs ins Auge gefaßt und denselben als Waffe für den Sieg der Bildung und Philosophie, nicht als Mittel zur eigenen Bereicherung ergriffen, — dafür liefern sein ganzer Lebensgang, sein Verkehr mit den bedeutendsten Geistern der Zeit, die Rolle, welche er in Liv- und Kurland gespielt, den voll gültigsten Beweis. Schon zwei Jahre, nachdem er in das Kanter'- sche Geschäft getreten, im I. 1763, ließ sich Hartknoch in Mitau (das er auf einer im Interesse seines Prinzipals unternommenen Reise kennen gelernt) als Begründer eines neuen Geschäfts nieder und wenig später wurde das Rigaer Geschäft begründet, dessen per sönliche Leitung er dann selbst übernahm und wo er sich dauernd nie derließ. So verschieden Kur- und Livland, Riga und Mitau von Alters her waren und geblieben sind, so hatten sie doch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in einer Beziehung entschiedene Aehnlichkeit: in der Bescheidenheit, um nicht zu sagen Armuth ihrer geistigen Be dürfnisse und Ansprüche. Mitau, wo unser Hartknoch sick zunächst niederlicß, war damals noch Hauptstadt des Herzogthums Kurland, oder wie Hippel (der jenes Land damals durchreiste) richtiger sagt, des kurländischen Freistaats. Das frische, genußsüchtige Treiben der alt - kurischen Art war ein für feineres geistiges Leben vielleicht noch ungünstigerer Boden, als der livländische. Der Mangel eines selbständigen, vorwiegend auf Bildung gestützten Bürgerthums beraubte die Sache der Intelligenz ihrer natürlichsten Anwälte und Träger, und die Aristokratie jener Tage kannte (wie uns derselbe Hippel sagt) nur zwei Interessen: die Jagd und kurländische Staats angelegenheiten. — Wir können uns nicht versagen, zur Charakteri stik des Orts, an welchem Hartknoch sich im I. 1761 niederließ, die kurze, aber höchst charakteristische Schilderung mitzutheilcn, die der Vers, der „Lebensläufe" von seinem zweistündigen Aufenthalt! in der kurländischen Metropole entwirft. „In Mitau kehrten wir im ersten Gasthofe ein, wo wir bis auf einen Mitgast ganz gute Aufnahme fanden. Dieser Mitgast war ein echter kurscher Junker v. V—f, der uns so viel von Hauen und Stechen erzählte, daß, wenn ich nicht schon auf der Universität mit dieser Sprache bekannt geworden wäre, sie mir befremdlicher gewesen wäre. Jetzt blieb alles in der Ordnung und unser kurscher Verfechter drang mir kein Rapier auf, um au uns ein Experiment zu machen. Ich besuchte meinen Landsmann, den Prof. Wachsen, der als Rector bei der Schule in Mitau stand, konnte mich an dem Biron'schen Schlosse, das inwendig eine wahre Wüstenei, von außen indessen ein herr liches Gebäude ist, nicht satt sehen, und betrat in wenigen Stunden den eigentlich russischen Boden. Schwerlich wird man innerhalb 7 Meilen, denn so weit liegt Riga von Mitau, einen so gewaltigen Unterschied von Menschen finden, als mir hier so auffallend war. Im Freistaat herrscht eine ganz andere Denk- und Sprechart, als in der Monarchie wenn nur die aristokratische Weise, welche in Kurland gäng und gebe ist, mir nicht die Freiheit (wenn Aristokratien anders diesen Namen verdienen) gerade von keiner empfehlenden Seite gezeigt hätte. Unser Mitgast war kein hin reißender, sich und die Sache der Freiheit empfehlender Cicerone — da der Mensch nichts, der Edelmann hingegen alles bei ihm galt. Ist da Freiheit, wo nicht einmal die Gesetze der Menschheit gelten? Die kurländischen Edelleute nennen sich ohne Zweifel, in Rücksicht der ihnen gebührenden großen Freiheit, Barone oder Freiherren." ^ Kehren wir von dieser Abschweifung zu unserem in Riga und Mitau ekablirten jungen Buchhändler zurück. Der Boden, den er vorfand, war in literärischer Beziehung ein vollständig jungfräulicher und die meisten Bewohner beider Städte mögen kaum eine Ahnung davon gehabt haben, daß es ein Ding wie Literatur gebe und was es mit demselben auf sich habe. Die einzigen Bücher, welche „gin gen" und als Handelsartikel regelmäßig vorkamen, waren Katechis men und Andachtsbücher, welche meist im Jnlaude gedruckt und durch Buchbinder und Küster vertrieben wurden. Alle paar Jahre geschah es, daß von Leipzig oder Königsberg ein unternehmender „Buchführer" (wie man damals sagte) um dieJohanniszeit denWeg in die beiden baltischen Metropolen fand und die Artikel, welche er zufällig mitgenommen hatte oder die anderswo nicht zu placiren gewesen waren, an den Mann brachte; wer außerhalb dieser Schalt tage ein nicht in Riga oder Mitau erschienenes Buch wünschte, mußte warten oder aber ins Ausland schreiben und sich das gewünschte Werk per Post kommen lassen. Erwägt man, daß ein simpler Brief von Leipzig nach Dorpat noch vor 40 Jahren einen ganzen Thaler, resp. Rubel kostete, und daß das an den Folgen des nordischen Krieges darnicderliegende Land sich nur sehr langsam erholte, so wird man sich sagen können, wie oft und von welchen Gesellschaftsclassen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde und unter den einmal gegebenen Verhältnissen Gebrauch gemacht werden konnte. Es war ganz dem bescheidenen Zuschnitt jener Zeit gemäß, daß man, weil es keine Buchhändler gab, keine Bücher hatte und daß man aus diesem letzteren Grunde nicht oder doch nur sehr wenig las. Die wenigen studirten und an höhere Bedürfnisse gewöhnten Leute, die es gab, waren der Mehrzahl nach aus Deutsch land eingewandcrte Prediger, die einen gewissen Büchervorrath mit brachten und gelegentlich unter der Hand vermehrten. Im Adel wurde wenig gelesen und begnügte man sich mit den Werken, in deren Besitz man zu minder knappen Zeiten gelangt war und die sich von Vater auf den Sohn fortgeerbt hatten. Noch in den 90er Jahren fand Merkel einen Edelmann, der für wohlhabend und besonders gebildet galt, seiner Gattin aus dem „Simplioisnimus" (einem im 1.1666 erschienenen Roman) vorlesen. Derselbe Schrift steller versichert uns, zu damaliger Zeit seien die jungen, aus dem 395*
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