Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 20.03.1911
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1911-03-20
- Erscheinungsdatum
- 20.03.1911
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19110320
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-191103206
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-19110320
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1911
- Monat1911-03
- Tag1911-03-20
- Monat1911-03
- Jahr1911
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
65, 20, März IS11. Nichtamtlicher Teil, Mrl-ndlatt s, d, Dtschn, Bvchhand-l. 346g weiß, daß gerade auf dieser Verschiedenheit der Bilder das körperliche (stereoskopische) Sehen beruht, — gerade so gibt man sich heute noch alle erdenkliche Mühe, das indirekte oder exzentrische Sehen als etwas Unvollkommeneres, weniger Entwickeltes und weniger Differenziertes darzustellen, während doch die von dem Fixierzentrum bis zur Peripherie stetig fortschreitende Funktionsänderung der Netzhaut das Auge zu einem raum-messenden Bewegungsorgan von geradezu wunderbarer Genauigkeit macht. Zwar ist uns noch manches dunkel in diesem eigentümlichen System von qualitativer und quantitativer Arbeitsteilung, aber so viel ist sicher: Es ist nicht wahr, daß die Netzhautmitte den seitlichen Netzhautteilen in allen Stücken überlegen sei. Zwar nimmt die Mannigfaltigkeit der erkennbaren Farben qualitäten vom Zentrum nach der Peripherie hin stetig ab, und ebenso die Genauigkeit der Auffassung räumlicher Formen. Da gegen nimmt die Empfindlichkeit für Helligkeiten und Hellig keitsunterschiede zu, und die Wahrnehmungsschärfe für Orts veränderungen der Gegenstände im Gesichtsfelde ist im indirekten Sehen größer als im direkten. Das indirekte Sehen ist eine körperliche Funktion, die, ähnlich wie die Erhaltung des Gleichgewichts beim Stehen, Gehen, Radfahren, Seiltanzen oder wie die genaue Abmessung der Armbewegungen beim Klavierspielen, am besten aus genutzt wird, wenn man ihr keine Aufmerksamkeit zuwendet. So wissen auch die meisten Menschen nicht, daß sie fort während Doppelbilder haben. Wenn man eS ihnen sagt, so leugnen sie es zunächst und erklären entrüstet, daß sie alles einfach sähen. Man muß sie auf Umwegen von dem Vor handensein der bei der Tiefenwahrnehmung eine Hauptrolle spielenden Doppelbilder, die gewöhnlich nicht beachtet werden, überzeugen. So geht es den meisten Leuten auch mit dem indirekten Sehen, Sie sind gewohnt, nur dem ihre Aufmerksamkeit zu schenken, was sie fixiren, und be achten dabei nicht, daß alle Anregungen für die Änderung der Fixation, also für die Augenbewegungen sowie für einen Teil der Kopsbewegungen von Eindrücken herrühren, die im indirekten Sehen wahrgenommen werden. Da aber leider das indirekte Sehen, auch in wissen schaftlichen Kreisen, heute noch so unpopulär ist wie vor achtzig Jahren die Parallaxe des Doppelauges, so will ich versuchen, die Sachlage unter Umgehung des Begriffs des indirekten oder exzentrischen Sehens klarzumachen: Beim Lesen ruht der Fixierpunkt, das heißt der Punkt, aus den wir die Augenachsen einstellen, oder den wir an- sehen, nicht, sondern er gleitet die zu lesenden Reihen ent lang, Und diese Bewegung ist keine gleichmäßige, stetige, von Buchstaben zu Buchstaben — das wäre wegen der geringen Abstände der Zeichen von einander außerordentlich ermüdend (wie beim Buchstabieren und Korrekturlesen) —, sondern eine sprungweise von Wort zu Wort, wobei kleine Wörter ganz übersprungen werden können und in größeren, vielleicht zwei oder mehrere relative Stationen gemacht werden. Es kommt daher beim Lesen nicht lediglich darauf an, wie leicht und sicher die Schriftzeichen aufgefaßt werden, wenn das Auge sie ruhend fixiert, sondern ebensosehr und viel leicht noch mehr darauf, wie leicht und sicher sie erkannt werden, wenn der Blickpunkt über sie hingleitet und wenn sie sich ihm nähern. Wenn nun Ärzte und Schul männer, ohne diese Frage entschieden zu haben, ja ohne ihr überhaupt näher zutreten, für ein Mono pol der lateinischen Schrift eintreten, so handeln sie zum mindesten sehr unwissenschaftlich und ober flächlich, Was ich über den Gegenstand zu sagen habe, ist in meiner Abhandlung über die Erkennbarkeit geometrischer Figuren und einfacher Schriftzeichen') und in meinem Archiv sür die gesamte Psychologie. Band XIII, S. 351 u, s. Börsenblatt sür den Deutschen Buchhandel. 78. Jahrgang. Büchlein »Antiqua oder Fraktur»') niedergelegt. Von dem letzteren Schriftchen, das bis jetzt leider nicht genügend bekannt geworden ist, hätte ich im Interesse der guten Sache gewünscht, daß es in die Hände jedes deutschen Lehrers gelangt wäre. Ich hoffe aber immer noch, daß die An schläge gegen die deutsche Schrift in letzter Instanz doch an dem gesunden Widerstand des deutschen Volksschullehrers zu schänden werden. Herr Windeck bezeichnet es als den Gipfelpunkt des Jirtums, daß ich aus rein formalen Erziehungsgründen schon die »Zweischriftigkeit« verlange. Herr Windeck liefert auch »nicht den geringsten Bewe>s für diese seine Behauptung«; meine Ansicht in dieser Sache aber hat sich im Laufe meiner Erfahrungen in einschriftigen Ländern heraus gebildet. Meine Behauptung, daß der Vorwurf der sinnlosen Belastung des Gedächtnisses und der Quälerei der Kinder durch das Zweischriftsystem hauptsächlich von Leuten erhoben wird, die vom Anfangsunterricht nichts verstehen, halte ich im vollen Umfange aufrecht, und zwar nicht nur als der Philosoph, sondern auch als der Lehrer Kirschmann. Wenn ich auch kein Lehrerseminar besucht habe, so habe ich doch, ehe ich zum Studium kam, die beiden staatlichen Volksschul- lehrerprüsungen abgelegt und mehrere Jahre an der städtischen Volksschule zu Oberstem an der Nahe — und zwar hauptsächlich an Unterklassen — unterrichtet. Ich bin also in dieser Sache genau so zuständig wie jeder andere geprüfte Volksschullehrer. Übrigens glaube ich, daß den Tausenden und Abertausenden von Lehrern, die nach Herrn Windcck sich für die Altschrift entschieden, Zehntausende und Aberzehntausende gegenüberstehen, die gegen die Ab schaffung der deutschen Schrift sind. Und von denen, die heute Petitionen für ein Altschrist - Monopol unterschreiben, werden gewiß viele anderer Meinung werden, wenn mit der Abschaffung der Fraktur in der Volksschule wirklich Ernst gemacht werden sollte. Dafür aber, daß die Erlernung einer zweiten Schrift sür die Kinder keine Überbürdung, keine Quälerei ist, dafür hat noch neuerdings ein hervorragender Mann aus dem Lager der Altschriftler einen vielleicht weniger beabsichtigten als gelungenen Beweis geliefert. Vor mir liegt eine mir von Herrn Ruprecht in Göttingen zugegangene Abschrift eines Artikels aus dem Berliner Tageblatt, in dem Herr Geheimer Regierungsrat Professor Markus das an den Reichstag gesandte Gesuch wegen Einführung der Lateinschrift befürwortet, und zwar unter Vorbringung der bekannten und längst widerlegten Gründe, von den 8 Alphabeten, die die armen Kleinen im Kops behalten müssen, von der mühe vollen Einprägung der Formen der deutschen Buchstaben, die kein Mensch aus dem Kopfe hinzeichnen kann usw.") Ein paar Zeilen weiter aber hat Herr Geheimrat Martus die Erfahrungen, die er als Direktor des Sophien-Gymnasiums in Berlin in den Vorschulklassen gemacht hat, wo der erste Leseunterricht mit der lateinischen Druckschrift begonnen wird, wie folgt niedergelegt: »Als die Kinder die lateinische Druckschrift befriedigend lesen konnten, ließ ich zur deutschen Druckjchrift übergehen. Die Kinder lernten in einer einzigen Stunde diese lesen, und nur einige kämpften eine Woche lang mit den Schnörkeln der wenig verschiedenen deutschen Druckzeichen für die großen Buchstaben 8 und V, II und R, U und IV.» ') Verlag des Deutschen Buchgewerbe-Vereins. Leipzig IS07. "i Das Erkennen und Unterscheiden der Zeichen hat mit der Möglichkeit des Hinmalens sehr wenig zu tun. Wir erkennen und unterscheiden auch die Gesichtszüge von Hunderten von Menschen mit größter Sicherheit, ohne ein einziges Gesicht Hinmalen zu können. 452
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder