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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 15.04.1940
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- 1940-04-15
- Erscheinungsdatum
- 15.04.1940
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Kurt Kluge: Die Zaubergeige Als ob Andreas vom Wein käme oder zu einer Frau wollte, irrte er dann durch die Straßen um die Thomas- kirche und wußte nicht, wo er ging. Endlich wachte er seufzend auf, sah sich um... wohin wollle er doch? Allmäh lich fiel's ihm ein: Li-Saiten kaufen. Er suchte das Geschäft, sah den Verkäufer die zärtlichen Ringel auf den Ladentisch legen. Andreas schüttelte den Kopf: „Stahlfaiten bitte". Stahlfaiten halten länger. Andreas mußre sparen. Oh, erfühlte in den Nerven feiner Fingerspitzen der linken Hand diesen verfluchten harten Draht. Stahl, Draht, Stahl draht... in der Campagna und auf den Hügeln hinter Neapel, da weiden Schafe auf dem Gras, das nur dort wächst in der Sonne, die nur dorr scheint. Aus den Därmen ihrer Lämmer können Saiten gedreht werden, römische Saiten, weinfarben hell durchscheinend — solche Saiten konnte sich Andreas nicht kaufen. Wozu auch. Seiner Geige tat ein Stahldraht nicht Schaden. Er liebte diese Geige nicht, ja, er konnte sie zuweilen hassen. Aber Andreas war ein armer Mann. Er mußte froh sei», daß er überhaupt ein Instrument besaß, mit dem er sein Brot verdienen konnte. Der Don dieser Violine trug nicht, es fehlte ihr an Gesang — mehr als an Ton und Gesang: die Seele fehlte ihr wohl. Sie gab nicht heraus, was er ihr anvertraute. Seine Kunst verschwand in dieser Geige wie eine Dichtung oder ein Bild oder eine Idee in einem undankbaren Volke. Auf der unerreichbaren Stradivari in ihrem Kristall konnte Andreas spielen im Geiste, sie erklang ungespielt in ihm. Aber diese Dutzendoioline preßte ja beim Geigen ihre kleine Tonwirklichkeit zwischen Beethoven und sein Herz! Gestern hatte er für sich gegeigt in seiner Kammer, immer dieselbe große Stelle aus dem Beethovenschen Violinkonzert, und plötzlich hatte der arme Mann die Geige am Griffbrett ge packt mit der Faust, drohend gegen das Notenpult ge hoben — mit der eigenen anderen Hand war er dem Streich des Jähzorns grade noch zuvor gekommen ... ja, Andreas haßte diese Violine so, wie nur ein Mann ein Weib hassen kann, deren falsche dünne Stimme Stunde um Stunde, Tag um Tag, Nacht um Nacht den Gesang seines vollen Herzens verdirbt, ob dieses Weib an äußerer Gestalt auch den schönen Frauen ähneln mag. Die Stradivari war ein Traum: wenn Andreas wenigstens eine der guten Geigen besessen hätte, wie sie auch heute noch in mancher Werk spahn — Andreas nickte —gestern batte er in einer Zeitung gelesen, daß die Produktion der Streichinstrumente nach Ausweis der Leipziger Messe in einem großartigen Auf schwung stände — wieviel Geigen waren's im Jahr? Acbtundvierzigtausend oder sechzigtausend? — und eine trefflich fein durchdacbte Arbeitsteilung ließ den einen Mann nur Resonanzdecken machen, den andern nur Hälse oder Stege, aber jedes Teilstück nach einem Modell Stradivaris! Haargenau stellt die moderne Meßtechnik die feinsten Schwingungen der Plastik, der Holzdicken fest. Täuschend kann eine Stradivari kopiert werden. Nur klingen d e nachgemachten Geigen nicht wie das Vor bild. Am Lack liegt es. Dieser Lack! Warum hat der zweiundneunzigjährige Alte in Cremona nicht ein Zettel chen mit dem Firnisrezept hinterlassen! Dann gäbe es fünfzig-, sechzigtausend Stradivaris aus der nächsten Leip ziger Messe. Andreas grübelte: Lack? Oder sollte der so zu verlässig fühlende Mikrotaster, vom geschmeidigsten tech nischen Intellekt bewegt, bloß deshalb Stradivaris Ton nicht noch einmal wiederholen können im Weltall, weil jener Ton in Stradivaris Seele erklungen ist, ehe er ihn hat umbauen können mit Holz? Warum ist alles Echte unwiederholbar? Obgleich wir es doch vor uns sehen mit Augen, fassen können mit Händen und nur nachzumachen brauchen? Aber was wollte Andreas denn! Eine Geige wie die in jenem Museumssaal? Eine halbe Million wert oder eine viertel doch? Er war froh, daß er wenigstens wußte, wie er heute abend zu einem warmen Essen kam. Der Leipziger Wohltäter des Andreas hieß Schmal fuß und war der Inhaber einer in der Regel erst nach Mitternacht besuchten Gaststätte namens Grotte. Herren in Gesellschaftskleidung erschienen hier in vorgerückter Nachtstunde, um nach einer anstrengenden Tafele« oder auf regenden Oper noch ein Pilsner zu trinken, ohne erst den Hut abnehmen oder sich sonst in ihren Äußerungen irgend einen Zwang antun zu müssen. Auch Herren ohne Frack verkehrten in der Grotte und setzten sich schon von etwa elf Uhr an, aber gleichfalls ganz zwanglos, in eine der vielen Ecken hinter den Wein. In einem jedoch stimmten alle bei Schmalfuß Erholung suchenden Herren überein: ihre Damen brachten sie nicht mit in die Grotte, denn das weib liche Element war hier in Gestalt anmutiger und gutherziger Kellnerinnen bereits hinreichend vertreten. I. Engelhorns Nachf. Adolf Spemann Stuttgart 265 Börsenblatt f. L. Deutschen Buchhandel. 107. Jahrgang. Nr. 87 Montag, den 15. April 1910
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