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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 02.01.1920
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1920-01-02
- Erscheinungsdatum
- 02.01.1920
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- Deutsch
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begangen wurde. Also ein Rückgang vom Jubilieren zum Sin- gen — Goll gebe, daß der liebe deutsch« Buchhandel nicht zum Rogate, Ex au di oder gar zu Misericordias Domini zurückgehen mutz <vgl. Goethes Versus msmorialls). Habe ich es doch ferner noch erlebt, dah öfters Novitäten in rohem Zustande, also ungeheftet, ausgegeben wurden, was die Ansichtssendungen recht erschwerte — und dass, als ein be sonderes Ereignis, die lange vorbereitete und namentlich von den Gelehrten sehnlich erwartete erste Lieferung von Grimms Deutschem Wörterbuch erschien und begeisterte Ausnahme fand. Auch erinnere ich mich noch der sogenanmen Ordinär-Rechnung, die darin bestand, datz die Begleitfakturen in Ladenpreisen ausgestellt und erst in der Ostermesse mit 33l4"/» Abzug von der ganzen Transport-Summe verrechnet wurden. Auch des jährlich zweimal erscheinenden Metz-Catatogs (Ostern und Michaelis) erinnere ich mich, der namentlich wegen der darin im voraus angckündigten Neuigkeiten von den Gelehrten stets mit Unge duld erwartet wurde. Verbesserte Ausgaben anderer biblio graphischer Hilfsmittel verdrängten schließlich die Metzkataloge. Es ist eine in ihrer Art ganz vergangene Welt, die ich dar stellen mutz. Wenn die Menschheit des 17-, 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts trotz allen Wandlungen und Schick- salen im großen und ganzen die gleichen äußeren Verhältnisse bewahrte, so hat der Mensch, der die Zeit von damals bis jetzt durchlebte, so gewaltige Veränderungen und Neubildungen sich vollziehen sehen, datz er wohl sagen muß, eine vollständig inner lich und äußerlich neue Welt erlebt und miterlebt zu haben. Die Zeit der Eisenbahnen und der grotzen naturwissenschaftlichen und technischen Entdeckungen hat die Welt vollständig umge bildet. Gab es früher Entfernungen, die zu durchlaufen die Mitteilungen lange Zeit brauchten, so zucken heute blitzartige Ströme von einem Pol der Erde zum andern. Es ist oft ge sagt worden: es gibt keine Entfernung mehr; was heute in Amerika sich ereignet, in wenigen Stunden wird es in der ganzen Welt bekannt und mutz geistig verarbeitet werden. Die große Frage: ist die Welt, das Menschenleben glücklicher und besser geworden, mag unerörtert bleiben, — neu und anders ist sie jedenfalls geworden. Und indem ich heute diese Erinnerun gen niederschreibe, stehen wir vor einer werdenden neuen Welt, vor Neubildungen und Veränderungen, wie sie die Weltge schichte vielleicht noch niemals erlebt hat. Dies zu erleben und seelisch zu verarbeiten, ist unendlich schwer. Der Greis, der dies tun muß, ist Wohl versucht, in innerer Stille der neuen Welt ganz zu entsagen. Er wird sich in seine eigenen Erinne rungen flüchten und sich hüten, die Tür der Zukunft zu öffnen. Aus solchen Empfindungen heraus sind diese meine Bilder ge zeichnet und dargestellt; mögen sie bei denen, die sie betrachten, wie ein Bilderbuch einer alten vergangenen Zeit wirken, die ihr Schönes und Gutes reichlich in sich hatte, vielleicht mehr den Sonnenschein inneren Behagens erfahren durfte, als es den jetzigen Tagen und in der Zukunft den Lebenden beschert sein wird. Im Februar 1835 wurde ich meinem Vater, dem Buch händler Heinrich Eduard Gräfe in Königsberg geboren, dessen Leben zu schildern ich zunächst unternehme. Mein Vater, noch im alten Jahrhundert 1799 in Hamburg geboren, war im Jahre 1813, vor der Belagerung Hamburgs durch die Franzosen, nach Braunschweig in die Campe'sche Schul buchhandlung in die Lehre gekommen, wo er mit Eduard Vieweg und Heinrich Brockhaus zusammenarbeitete und eine Freundschaft fürs Leben schlotz. Er blieb dort sechs Jahre, ging von da als Gehilfe zu Cnoblochin Leipzig und darauf zu A. W. U n z e r in Königsberg, wo er seine nachherige Frau, die Tochter Unzers, kennen lernte. Auf Anraten seiner Freunde etablierte er sich dann im Jahre 1325 als Kommissionär in Leipzig unter der Firma H. E. Gräfe, und von Glück und Fähigkeit begünstigt, gewann er bald eine erhebliche Anzahl von Kommittenten, die der jungen Firma ihr Vertrauen schenkten. Die glücklichste geschäftliche Zukunft stand vor ihm; da wurde ihm von seinem künftigen Schwiegervater die Teilhaberschaft des Königsberger Geschäfts angetragen, eine Lockung, der er nicht widerstehen konnte. Es war ein Entschluß, folgenschwer und sorgenvoll, den er sein ganzes ferneres Leben bereut hat, da er selbst ohne jedes Vermögen war. Das bereits so gut eingeführte Kommissionsgeschäft übernahm Heinrich Brockhaus als Stamm seiner eigenen Kommissions-Abteilung. Die Firma H. E. Gräfe, die noch zwei Jahre bestehen blieb, wurde während dieser Zeit von FrtedrichVolckmar, dem lebenslangen ge treuen Freunde, der später sein eigenes, noch jetzt blühendes Kom missionsgeschäft gründete, verwaltet. Heinrich Blockhaus schreibt in seinem Reiselagebuche aus dem Jahre 1887/68, Bd. I, aus Dundee: »Mein aller Freund Gräfe in Königsberg ist er löst. Man kann den Tod des braven, guten Menschen als eine Erlösung betrachten. Das Leben ist ihm nicht leicht gewesen, er har viel zu kämpfen und zu sorgen gehabt«. Von den drei deutschen Städten, die für meine Familiengeschichte besonders wichtig sind: Hamburg, Leipzig und Königsberg i. Pr., ist die letztgenannte, das alte schöne Königsberg in Ostpreußen, doch die wichtigste, und ich gehe gern daran, cs mir und dem Leser, namentlich aber die buchhändlerischen Verhältnisse vor die der Erinnerungen volle Seele zu stellen. Die glücklicherweise heule noch glanzvoll bestehende Buch handlung Gräfe L Unzer, in die also mein Vater als Mitbe sitzer eingetreten war, kann in zwei Jahren ihr MOjähriges Jubiläum feiern. Der Gründer des Geschäfts war ein Härtung, Besitzer der Hartungschen Buchdruckerei nebst noch bestehender Zeitung. Als ihm das Geschäft zu groß wurde, verkaufte er die Buchhandlung an einen gewissen Göbbcls. Daraus wurde mit der Zeit Göbbels L Unzer, dann A. W. Unzer und schließlich 1832 Gräfe L Unzer. Meine Mutter, die Tochter von A. W. Unzer, starb im März 1848. Ich war da schon 13 Jahr« alt und erinnere mich ihrer freundlich waltenden Persönlichkeit sehr deutlich. Eine Schwester meines Vaters kam ins Haus, um die Wirtschaft zu führen. Ich bin sehr früh zur Schule gekommen, mit sechs Jahren, und das hat die Folge gehabt, daß ich vieles unverstanden in mich aufnehmen mußte; ich weiß noch, daß der Lehrer in der ersten Stunde etwas diktierte und bemerkte; »Aber ohne ortho graphische Fehler«. Ich wußte durchaus nicht, was Ortho graphie wäre, noch weniger, was eine orthographische Feder, wie ich zum Gaudium meiner Mitschüler verstanden hatte. Ich war eben ganz unreif, und diese Unreifheit hat mich in meinem ganzen Leben verfolgt. Trotzdem mutz ich kein schlechter Schüler gewesen sein, denn ich machte schon mit vierzehn Jahren mein Abiturium, wobei ich noch das Pech hatte, ganz allein examiniert und drei ganze Stunden im Examen gequält zu werden. Ich saß in der Prima der »Höheren Burgschule« und erinnere mich deutlich der vielen Unruhe, die das tolle Jahr in unser stilles Leben brachte. Alte Herren fingen an zu turnen; ich sehe noch meinen 50jährigen Vater und seine Bekannten in weißer Turn kleidung nach dem Turnsaal ziehen, um sich dort zu betätigen und dann mit einer weißen Binde um den Arm nachts irgendwo Wache zu stehen. Es war nicht viel los, aber es wurde doch sehr ernst genommen, dauerte jedoch nicht lange. Die Stadt der reinen Vernunft hat sehr rasch die unruhigen Tage überwunden. Da auch aus meiner Klasse verschiedene Mitschüler sich zur Bürgerwehr gemeldet hatten, tat ich natürlich dasselbe, wurde aber nicht angenommen, weil man mich für zu schwächlich hielt. Denke ich jetzt dieser meiner Jugendzeit, so ist es mir fast unfaß bar, wie einfach wir damals lebten, als ich noch zur Schule ging. Das Haus war dunkel, die Zimmer sehr niedrig, die Küche mitten im Hause ohne Fenster, sodaß sie den ganzen Tag be leuchtet sein mußte; ein großer Boden war für uns Geschwister ein ausgezeichneter Spielplatz. Unter dem Hause floß ein kleiner Nebenfluß des Pregels, der alle Abfälle des Haushalts anfnahm und abführte, eigentlich polizeiwidrige Zustände nach heutigen Begriffen. Wir sind aber doch dabei ausgewachsen und im Grunde gesund geblieben. Später zogen wir in eine andere Wohnung mit kleinen! Garten. Mein Vater war sehr ernst, Wohl durch die großen Sorgen, die ihm geschäftlich anflagen, obgleich er seiner Natur nach vielmehr zur Heiterkeit neigte. Meine Mutter war oft kränklich; durch den großen Hausstand (sieben Familtenglieder und drei fremde Gehilfen) war sie sehr
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